Bol sanslar Sürpriz!

Am 29. Mai ist die Sensation perfekt: Eine bajuwarischtürkische Gruppe namens Sürpriz vertritt Deutschland beim Grand Prix Eurovision in Jerusalem – fürwahr eine Überraschung. Geradezu passend zur Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts kommt diese Ethnogruppe, deren Mitglieder tiefstes Bayerisch sprechen und wie Istanbul aussehen.

Sie machen wahrlich eine Reise nach Jerusalem, und mit ihnen ein Millionenpublikum, worunter eine riesige Zahl der 2,3 Millionen Bewohner Deutschlands mit türkischem Paß sein dürften. Sie werden mitfiebern, wenn die ungewöhnliche Formation in Israel für Deutschland singt. Wie weit ist es nur gekommen mit diesem Land, werden verzweifelte Urdeutsche vor ihren TV-Geräten denken: Multikulti zur besten Sendezeit im Namen Deutschlands.

Bedauerlicher ist jetzt schon, daß der Titel von den Radiostationen und TV-Sendern kaum gesendet wird, paßt er doch in kein Schema. Sürpriz macht eine Musik, die weder Italoschmalz enthält noch spanischen oder sonstigen Urlaubsflair verbreitet. Die Gruppe, bestehend aus sechs jungen Menschen, verkörpert die Entwicklung der „neuen Inländer“ auf besondere Art und Weise.

Auch andere turkodeutsche Musiker nehmen langsam, aber sicher Anlauf, die deutschen und internationalen Charts mit Herz und Verstand zu erobern. Hierzu gehören unter anderem Rafet El Roman, Tugce San, Cartel, Aziza-A und allen voran Tarkan. Sie sind keine No-names mehr, die sich nur in der Türkei größter Beliebtheit erfreuen. Gemeinsam mit Sezen Aksu bildet Tarkan die Speerspitze des türkischen Mainstreampop. Diese spannende Entwicklung in der Popmusik ist an der Öffentlichkeit bisher fast spurlos vorbeigegangen: Die türkische Popmusik hat sich innerhalb der letzten Jahre, ignoriert von der deutschen Urbevölkerung, vom verschmähten Orientsound zu einem eigenständigen Dance-Pop entwickelt.

Seit Tarkan „im deutschen Radio“ oder bei Viva gespielt wird, ist die junge turkodeutsche Generation ein wenig stolzer. Parallel zur Konjunktur des türkischen Pop schließen sich in deutschen Großstädten mehr und mehr türkische Bands bei Independent Labels zusammen, Gruppen, die sich musikalisch meist am amerikanischen HipHop orientieren und dessen Lebensstil nacheifern. Kurzum: Die Enkel und Urenkel der „Gastarbeiter“ etablieren sich inzwischen in den deutschen und internationalen Charts. Nun erreicht die neue deutschtürkische Welle sogar Israel. Viel Glück Sürpriz! Bol sanslar Sürpriz! Cem Özdemir

Der Autor ist Schwabe, seine Eltern sind türkischer Herkunft. Özdemir ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und deren innenpolitischer Sprecher.