: Good vibrations
Live-art-Reflex auf US-Sitcoms: René Polleschs Stück „Heidi Hoh“ im Rahmen von „reich & berühmt“ ■ Von Petra Kohse
Nicht einmal Stehplätze gab es mehr, als Donnerstag nacht im Podewil-Café René Polleschs Stück „Heidi Hoh“ uraufgeführt wurde. Es war die vierte und letzte Schauspielpremiere im Rahmen von „reich & berühmt“, und das Publikum in den ersten Sitzreihen begann fast noch vor Beginn der Vorstellung zu lachen. Denn berühmt ist der 37jährige Pollesch bereits tatsächlich, und zwar als Autor des Genres Splatterboulevard, wie ein Stück von 1993 auch heißt. Immer den Fernseher im Kopf und mit Vollgas durch die Witzparade, wobei popkulturelle Bezüge willkommen sind. Diesmal sind es die Beach Boys und ein Film mit Titel „Norma Rae“, der (wenn er es denn war) auf einer Leinwand im Rücken der Zuschauer gezeigt wurde. Wenn man sich umdrehte, konnte man tatsächlich einzelne Schnipsel des auf der Bühne Gesagten wiederfinden, eine kleine, weiße Farm etwa oder Menschen im Rollstuhl.
„Heidi Hoh“, von Pollesch selbst inszeniert, ist so etwas wie ein Live-art-Reflex auf eine US-Sitcom. Drei Frauen im Plaudersingsang über sich selbst, die Welt, das Fernsehen und die anderen. Im Hintergrund eine Kühltheke mit Salaten, mehrere Kaffeemaschinen und ein Snowboard sowie zwei Monitoren, die erst einen Mercedesstern, dann das Logo der Deutschen Bank zeigen.
In absurden und stets sloganfähigen Textschleifen wird das mögliche Leben von Heidi Hoh („Das ist mein Name. Nutz ihn nicht ab!“) verhandelt, angereichert durch Exkursionen in den Film oder Liedtexte der Beach Boys. Auf der Primärebene des Bühnengeschehens ringt Heidi Hoh mit ihrem Selbstbild. Seit sie ihren Job als Kundenberaterin online von zu Hause erledigen kann, weiß sie nicht mehr, wer sie ist, denn die Beschleunigung ihres Nachhausewegs auf die Nanosekunde, die sie braucht, um offline zu gehen, verkraftet sie weder physisch noch psychisch.
Wo eigentlich das Privatleben in der privatisierten Öffentlichkeit bleibt, ist ästhetisch wie psychologisch ein interessantes Thema, das in der Intimität einer Bühne als gefakte Fernsehsituation vielleicht sogar besonders gut verhandelt werden könnte. Indes, dazu kommt es nicht. Pollesch hetzt weiter, dreht den leiernden Tonfall von Nina Kronjäger, Claudia Splitt und Christine Groß bisweilen auf zu einem Kreischen, jagt sie auf den Potsdamer Platz, wo sie den Mercedes-Showroom für ein Autokino halten, läßt sie auf Plüschrobben einschlagen und Perücken in eine Trockenhaube werfen. Dann wieder Selbstreferenzen: „Laßt uns fernsehen. Wir könnten zusehen, wie Soap-Darsteller an ihre Grenzen stoßen.“
„Heidi Hoh“ ist gewissermaßen die Trashvariante zu Martin Crimps Stück „Attempts on her life“ – Versuche über oder Angriffe auf das Leben einer Person, die sich bei Annäherung immer weiter entfernt. Auch Heidi Hoh löst sich auf. In die Tätowierung der Schweizer Alpen auf ihrem eigenen Oberarm, die Californian Girls, Norma Rae, und schließlich in eine dünne Schwade Trockennebel. Darüber kann man lachen. Aber am Ende wirkt es doch ziemlich unfrei, wie Signale hier nur gesampelt werden, ohne daß eine eigene Geschichte daraus wird. Heute, 22 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68–70
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