Testosteron-Hasardeure

■ Die Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit überwinden: Monika Treuts Dokumentarfilm über die sogenannten Gendernauts

San Francisco war schon immer ein Ort für Pioniere: Die Stadt am Pazifik bildete den Endpunkt für die große Wanderung gen Westen; hier kam die Eroberung des Landes zu ihrem natürlichen Abschluß; hier war der letzte Posten der frontier, jener Grenze, um die herum sich der amerikanischste aller Mythen rankt. Im Kino fand er seine Entsprechung im Western-Genre; als das ausgereizt war, verlagerte sich die frontier in andere Bereiche. An die Stelle der Siedler, Soldaten und Goldgräber traten die Astronauten, an die Stelle der Landnahme trat die Eroberung des Alls. Um Grenzüberschreitung und -verschiebung ging es in beiden Fällen.

Um dieses uramerikanische Motiv geht es auch in Monika Treuts jüngster Arbeit, der Dokumentation „Gendernauts“. Neun Gender-Pioniere stehen im Zentrum des Films; allesamt leben sie in San Francisco, allesamt arbeiten sie daran, die Grenze der Zweigeschlechtlichkeit zu überwinden. „In der wirklichen Welt gibt es viele Geschlechter“, sagt die als Cyberspace-Göttin apostrophierte Sandy Stone, deren Statements sich als Leitfaden durch den Film ziehen. Man müsse nur den Mut haben, die Norm zu überschreiten, sich auf das große Spektrum jenseits von Männlichkeit und Weiblichkeit einzulassen und dabei zu sich selbst vorzudringen.

Die von Treut porträtierten Hermaphroditen, Transsexuellen und Testosteron-Konsumenten haben diesen Mut – und leider auch die Naivität, die in Stones Statement mitschwingt. Sie inszenieren sich selbst vor der Folie einer dumpf-heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft, geben sich als Agenten der Transgression – und bemerken gar nicht, wieviel Selbstgerechtigkeit in dieser Stilisierung mitschwingt. Treut, die schon in ihrer vorhergegangenen Dokumentation „Didn't Do It For Love“ keine kritische Frage an ihre Protagonisten zu formulieren wagte, verhält sich auch jetzt affirmativ. Wie eine Perspektive aussehen könnte, die die Gender-Abenteurer weder abfeiert noch pathologisiert, läßt sich dabei höchstens erahnen.

So etwas wie interne Konflikte tauchen denn auch nur am Rande der Erzählungen auf. Etwa wenn die Performance-Künstlerin Annie Sprinkle schildert, wie sie vor mehreren Jahren Fotos ihres damaligen zweigeschlechtlichen Liebhabers im Hustler veröffentlichte und so einen Sturm von Entrüstung in der Transgender-Community auslöste. Die Vagina des Liebhabers war in Großaufnahme zu sehen, dadurch fühlten sich viele Gender-Hasardeure verunglimpft. Welches Verhältnis entwickelt jemand, der mit Hilfe von Testosteron zu den sekundären Geschlechtsmerkmalen eines Mannes gelangt, zu seiner Möse? Treut stellt die Frage nicht.

So gewinnen ihre Protagonisten nicht viel an Kontur. Sie sind Künstler, beschäftigen sich mit dem Internet, haben einen Transgender-Club gegründet. Sie arbeiten an ihrem eigenen Mythos wie etwa Texas Tomboy, der eine Art Brandzeichen aus Steinen legt.

Oder wie es Sandy Stone formuliert: „Wir sind Angehörige eines Stamms.“ So konstruiert man sich eine Identität. Die Grenzüberschreitung, die im Blick auf die Norm der Zweigeschlechtlichkeit mit so großer Emphase inszeniert wird, kommt an ein rasches Ende, wenn es um die eigene Haut geht.

Cristina Nord

„Gendernauts“: Buch und Regie: Monika Treut. Mit: Sandy Stone, Annie Sprinkle, Texas Tomboy u.a. , D 1999, 86 Min., engl. O m U, im Xenon u. Hackesche Höfe