Almanca-Kurs gibt mehr Selbstvertrauen

■ In der Kreuzberger Schokofabrik gibt es Deutschkurse speziell für türkische Frauen. An praxisnahen Beispielen, wie etwa einem notwendigen Ämtergang, erwerben sie Sprachkenntnisse und damit die Grundlage zu mehr Selbständigkeit

Anstelle von „Stadt, Land, Fluß“ spielt Carolina Böhm mit ihren Schülerinnen „Stadt, Land, Substantiv, Verb, Adjektiv“. Bei den Schülerinnen handelt es sich nicht um Grundschulkinder, sondern um türkische Frauen zwischen 20 und 35 Jahren. Beim Buchstaben K hat Nesrin unter „Substantiv“ „Kajalstift“ eingetragen. Bei „Adjektiv“ steht allerdings „kaufen“. Selbst mit der türkischen Übersetzung für „Adjektiv“, die die Lehrerin an die Tafel geschrieben hat, kommt Nesrin nicht weiter.

Die 34jährige, die seit 15 Jahren in Deutschland lebt, hat in der Türkei lediglich die Grundschule besucht. Was sie vor mehr als 25 Jahren gelernt hat, ist längst vergessen. Ihr Deutsch beschränkt sich auf einzelne Wörter, die sie beim Einkaufen und Putzen gelernt hat. Den meisten ihrer Mitschülerinnen geht es ähnlich. Huri war nicht einmal in der Grundschule. Lesen und Schreiben hat sie dennoch gelernt, indem sie ihren jüngeren Geschwistern bei den Hausaufgaben über die Schulter geschaut hat.

Der „almanca Kurs“ in der Schokofabrik in Kreuzberg findet nur von Montag bis Donnerstag statt. „Freitags einen Kurs anzubieten wäre sinnlos“, sagt die Lehrerin Carolina Böhm. Denn freitags ist Markttag. Ein wichtiger Termin für türkische Frauen. Viele müssen nicht nur den Wocheneinkauf für Mann und Kinder, sondern auch für die Schwiegereltern machen. Diese wohnen traditionsgemäß mit dem Sohn und dessen Frau, die statt Schwiegertochter „Braut“ genannt wird, oftmals unter einem Dach. Es gibt nach wie vor wenige türkische Männer, die sich dieser Pflicht entziehen. Die türkischen „Deutschländerinnen“ jedoch, die im Gegensatz zu den Frauen aus der anderen Heimat, meist gebildeter und somit auch emanzipierter sind, lehnen diesen Lebensstil meist ab. Hier haben sie gelernt, daß es kein Normalzustand ist, eine Dreizimmerwohnung mit den Schwiegereltern zu teilen. Für türkische Männer sind „Deutschländerinnen“ als mögliche Ehepartnerinnen oft uninteressant, da sie befürchten, daß die Frauen im wahrsten Sinne des Wortes die „bessere Hälfte“ der Partnerschaft werden könnten. Deshalb haben Frauen, die aus türkischen Dörfern in deutsche Großstädte kommen, meist die besseren Heiratschancen, denn für sie sind mehrere Generationen unter einem Dach oft noch Normalität.

Fadime, die vor zehn Jahren nach Deutschland „zugeheiratet“ hat, hat das Leben mit den Schwiegereltern nur zwei Jahre durchgehalten. Es war ihr nicht nur zu eng, sondern zu langweilig. Sie hatte sich von „Almanya“ mehr erhofft, als nur Hausfrau und Mutter zu sein. Fadime wollte einen Beruf erlernen, am liebsten Bankkauffrau oder Unternehmerin im Textil-Einzelhandel. Ihr großer Traum ist es, mit einer deutschen Qualifikation in die Türkei zurückzukehren, um dort ihren eigenen Laden zu eröffnen. Der Wunsch hat Fadime die Stärke gegeben, ihren eigenen Haushalt durchzusetzen. Bis zu ihrem Ziel muß sie aber noch einiges leisten, doch den Grundstein hat sie gelegt. Sie lernt Deutsch.

Die Lehrerin Carolina Böhm begleitet Fadime und andere Türkinnen auf dem Weg in die Selbständigkeit. In der Schokofabrik ist die Diplom-Politologin mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung seit 1991 als Deutschlehrerin für türkische Frauen angestellt. Doch ihre Tätigkeit geht weit über das Unterrichten der deutschen Sprache hinaus. Wenn Ayse nicht weiß, wie sie den komplizierten Antrag zur deutschen Staatsbürgerschaft ausfüllen soll oder Naime in der Auswahl der Schule für ihre Tochter unsicher ist – Carolina Böhm hilft ihnen. Wenn es sein muß, auch auf türkisch. Die 32jährige hat während ihres Studiums die türkische Sprache erlernt. Zu keinem bestimmten Zweck eigentlich: „Es erschien mir einfach sinnvoll, in Berlin türkisch sprechen zu können.“

Während sich Carolina Böhm in beiden Sprachen verständigen kann, hat ein Großteil ihrer Schülerinnen Probleme mit der sogenannten doppelten Halbsprachigkeit. „Wenn noch nicht einmal die Struktur der eigenen Sprache bekannt ist, wird es um so schwieriger, eine andere Sprache zu erlernen“, sagt Böhm. In den Lehrbüchern wird dieses Problem umgangen, indem Grammatik weitgehend außen vorbleibt. Böhm hat das Lehrmaterial mit einem selbst erarbeiteten, mittlerweile 120 Seiten umfassenden Arbeitsbuch ergänzt. Darin kommen praxisnahe Themen wie die BVG oder der Gang zu Ämtern vor. Neben dem Erlernen von neuem Vokabular werden die Schülerinnen auch in kleinen Gruppen losgeschickt, um etwa in kürzester Zeit und unter Benutzung möglichst verschiedener Verkehrsmittel von Kreuzberg nach Charlottenburg zu fahren. Unterwegs sollen die Schülerinnen noch beim Arbeitsamt vorbei, um etwa einen Antrag auf Arbeitserlaubnis mitzubringen, welcher im Unterricht gemeinsam ausgefüllt wird. Der Unterricht ist in jeder Hinsicht sehr lebensnah. „Vogel, Flugzeug, Käfer, Fliege“ steht an der Tafel geschrieben. „Was paßt nicht und warum?“, fragt Carolina Böhm. „Flugzeug paßt nicht“, meldet sich Nesrin. „Weil man mit dem in die Türkei fliegen kann. Mit den anderen nicht.“ Songül Çetinkaya

„Freitags einen Kurs anzubieten wäre sinnlos“, sagt Lehrerin Carolina Böhm. Denn freitags ist Markttag