■ Die Grünen stehen nicht vor ihrem Ende. Sie haben lediglich die Regierungsbeteiligung als Ausgangspunkt ihrer Politik akzeptiert
: Wege aus dem Abseits

Zwei Vorwürfe begleiten die Grünen seit Jahren: Sie würden ihre Prinzipien verraten und seien nicht parlaments- respektive regierungstauglich. Ein Jahr ist es her, daß die Grünen sich in Magdeburg gegen Kampfeinsätze und für einen hohen Benzinpreis aussprachen. Daraufhin wurde ihnen alles zugetraut, nur nicht mehr die Rolle eines Regierungspartners. Einen Parteitag später saßen sie fast auf der Regierungsbank – doch die drei, die für sie dort Platz nehmen sollten, wollten nicht ihre Abgeordnetenstühle räumen. Nun stand der hehre Grundsatz der Trennung von Amt und Mandat zur Disposition, und den Grünen wurde vorgehalten, eine ganz normale Partei zu werden. Wiederum einen Parteitag später wurde der Grundsatz gewahrt und hernach der Mangel an Professionalität beklagt.

Nun haben die Grünen einer bedingungslosen Einstellung der Luftangriffe der Nato eine Absage erteilt – und prompt liegen sie angeblich auf dem Sterbebett. Einige Parteimitglieder wenden sich erschüttert ab, und andere schauen, ob es da nicht was zu fleddern gebe. Aber auch das werden die Grünen überleben. Sie werden womöglich gestärkt aus diesem Parteitag hervorgehen.

Seit ihrer Gründung leben die Grünen in einem Spannungsverhältnis von Wertebindung und operativer Politik. Beides wurde im Laufe der Jahre nicht immer, aber immer öfter in Einklang gebracht. In einigen Bereichen, wie der ökologischen Steuerreform, wurde die Programmatik bis zur alltäglichen Praxis durchdekliniert. In anderen Bereichen entwickelte sich eine mehr oder minder friedliche Koexistenz zwischen beiden Polen. Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik klaffen Beschlußlage und Praxis seit Jahren auseinander. Diesen Widerspruch überbrückte noch vor zwei Jahren der damalige Parteisprecher Jürgen Trittin mit dem Hinweis, es sei nicht Aufgabe des Vorstandes, im Sinne einer jesuitischen Glaubenskongregation bei der Fraktion auf die Einhaltung von Beschlüssen zu achten.

Zum gleichen Zweck wurde vor einem Jahr der Bosnieneinsatz jenseits der Beschlußlage der UNO zu einem friedenserhaltenden umdefiniert. Die Welt nach Wille und Vorstellung der Grünen – so läßt sich nicht mehr verfahren, seit die Partei den Außenminister stellt. Wenn nicht der Krieg auf dem Balkan, so hätte spätestens die neue Nato-Strategie für den entscheidenden Konflikt gesorgt.

Der Parteitag von Bielefeld wurde an zwei für die Zukunft bedeutsamen Punkten entschieden: Zum einen hat Außenminister Fischer die friedliche Koexistenz beendet, indem er sich apriorisch weigerte, einen Beschluß, der einen unbefristeten Waffenstillstand zum Ziel hatte, umzusetzen. Zum anderen enthielt dieser Beschluß keinerlei Aussage über die aus ihm zu folgernde Politik. Auf die Frage, wie mit Miloevic über was verhandelt werden solle, gaben die Protagonisten Antworten, die zu wolkig waren, um vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung mit dem Diktator als tragfähig gelten zu können. Nicht der Vorstandsbeschluß, sondern Fischer erhielt die Zustimmung zu seiner Politik. Er erhielt sie mangels Alternative. Das ist wenig genug.

Nach der Ausländer- und der Atompolitik haben die Grünen nun auch mit ihrem letzten identitätsstiftenden Politikfeld die jesuitische Konklave verlassen und die Regierungsbeteiligung als strategischen Ausgangspunkt ihrer politischen Überlegungen akzeptiert. Bereits seit langem sind die Grünen damit konfrontiert, daß die gesellschaftliche Attraktivität ihrer Kernthemen schwindet, daß sich auch die eigene Klientel immer weniger mit ihnen mobilisieren läßt. Dieser Trend wurde mit dem Beginn von Rot-Grün etwas abgebremst, um jetzt um so mächtiger zu wirken. Die kommenden Wahlen werden es zeigen.

Kurzfristig tauchte mit Beginn der Regierungsbeteiligung die etatistische Erwartung auf, daß die ursprünglichen Positionen gegen oder mit den eigenen Vertretern im Kabinett mit einem vergleichsweise geringeren Maß an Mobilisierung durchsetzbar seien. Die Erwartung wurde von ihnen zum Teil noch genährt, erwies sich aber gleichwohl als trügerisch. Die daraufhin einsetzende Enttäuschung war vorprogrammiert.

Die Grünen mußten in den letzten Wochen lernen, daß sich Positionen durchsetzen nicht in dem Maße, wie sie radikalisiert werden, sondern wie sie sich gesellschaftlich verbreiten. Nicht der Konflikt, sondern der Kompromiß ist die politische Bewegungsform, um die Probleme der zweiten Moderne zu lösen. Weniger die administrativen Kompetenzen als vielmehr die kommunikativen Spielräume sind dabei entscheidend.

Die Regierungspolitik trägt dem mittlerweile Rechnung. So ist dem Entwurf einer Gesundheitsreform nicht mehr nur ein parlamentarisches Werden in drei Lesungen beschieden, er dient vielmehr als Grundlage eines Ausgleichs zwischen den beteiligten Interessengruppen, bei dem der Staat vor allem den Haushaltsrahmen vorgibt. Das Bündnis für Arbeit ist ebenso auf Konsensfindung angelegt wie die Energiegespräche. So werden gesellschaftliche Machtgefüge neu tariert, so wird der reale Machtverlust des postnationalen Staates reflektiert. Daraus ein erfolgreiches Modell zu machen, darin liegt „die zweite Chance“ des Kabinetts Schröder.

Für die Grünen ergibt sich daraus ein doppeltes Dilemma. Sich auf die originären Themen zu reduzieren – was im übrigen die Rolle ist, welche ihnen die SPD trotz gegenteiliger Bekundungen gerne zuschreibt – würde sie zu einer Randexistenz verdammen, mit der sie selbst die eigene Klientel auf Dauer nicht halten können. Andererseits ist der Gegenstand der Kompromißfindung in der Regel die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen. Die soziale Gerechtigkeit ist jedoch die politische Domäne der Sozialdemokratie. Auch die Gesundheitsministerin Andrea Fischer hat damit zu kämpfen, daß sie sich in diesem Gefüge bewegt. Daraus gibt es auch keinen Ausweg.

Es gibt allerdings die Erweiterung der klassischen Verteilungsziele um den Faktor Zukunft. Den führt zwar auch die SPD im Programm, als Volkspartei tendiert sie jedoch zu einem kurzfristig wirksamen Interessenausgleich, der zumeist zu Lasten der kommenden Generationen geht. Darauf zu achten, daß deren Interessen nicht zu kurz kommen, wäre eine wesentliche Perspektive grüner Politik, die sich aus der Regierungsbeteiligung ergeben kann. Sie müßte zu einem kohärenten Programm gebündelt werden. Damit würden sich die Grünen zwar in der gesellschaftlichen Mitte bewegen, doch das dürfte nur jene schrecken, die darin noch immer allenfalls das verpönte Zentrum der politischen Gesäßgeographie erkennen können. Das Abseits der eigenen Wurzeln ist jedenfalls für sie auf Dauer kein sicherer Ort mehr.

Die Welt nach Wille und Vorstellung der Bündnisgrünen – das ist nun vorbei

Nicht der Konflikt, sondern der Kompromiß ist die Bewegungsform von Politik