Die Symbolik der Vergewaltigung

■ Die Militärsoziologin Ruth Seifert über Männer im Krieg und die Funktionen der Vergewaltigung

Scharping und Fischer reden von grausamen Vergewaltigungen im Kosovo. Sind diese Erkenntnisse gesichert?

Es sind mit kosovarischen Flüchtlingsfrauen Interviews geführt worden, die noch nicht veröffentlicht sind. Es scheint sich abzuzeichnen, daß das Vorgehen ähnlich ist wie in Bosnien. In Bosnien war ein gängiges Muster, daß irreguläre Truppen in einem Gebiet Terror ausüben und dann reguläre Truppen die Überlebenden vertreiben.

Gibt es ein ähnliches Vorgehen nicht in allen Kriegen?

Das Ausmaß von Vergewaltigungen scheint nach dem, was wir bisher wissen, von der Zielsetzung des Krieges abhängig zu sein. Vergewaltigung taucht als Kriegsmittel dann auf, wenn die Verachtung und Demütigung des Gegners eine große Rolle spielen. Es geht um definitive Trennungslinien, die keine zukünftige Verständigung mehr ermöglichen. HistorikerInnen haben darauf hingewiesen, daß im amerikanischen Bürgerkrieg wenig Vergewaltigungen – zumindest nicht zwischen Weißen – vorkamen. Der Krieg lief auf ein gemeinsames Staatengebiet hinaus und nicht auf eine Trennung.

Werden Vergewaltigungen in den postjugoslawischen Kriegen gezielt eingesetzt?

Es gibt Zeugenaussagen von serbischen Soldaten, die bestätigen, daß es solche Befehle gab. Zeugen haben auch berichtet, daß die serbische Armee schon Ende der achziger Jahre Pläne hatte, in denen Vergewaltigungslager eingezeichnet waren. Derartige Hinweise auf eine veritable Strategie sind bisher nur aus dem jugoslawischen Kontext bekannt geworden.

Das klingt nach serbischer Barbarei. Eine gefährliche These.

Das ist zweifellos gefährlich. Jugoslawische Soziologinnen haben die These aufgestellt, daß auf dem Balkan alte, bäuerliche Geschlechterbilder herrschen, in einer Gesellschaft, die in Richtung Industriegesellschaft geht. Sexuelle Gewalt wäre ein hilfloser Versuch, die Realität den Bildern anzupassen. Aber das muß genauer untersucht werden.

Welche psychische Disposition muß ein Täter haben?

Wahrscheinlich keine besondere. Zum einen ist dieser Zusammenbau von Sexualität und Gewalt für unsere Kulturen ja keineswegs ungewöhnlich. Auch im zivilen Leben kann Sexualität als Gewaltmittel eingesetzt werden. Zum anderen geht es ja nicht nur um den einzelnen. Sexuelle Gewalt in Kriegen wird häufig von Gruppen ausgeübt: Gemeinsam verübte sexuelle Gewalt verbindet eine männliche Gruppe. Das spielt in Kriegskontexten eine besondere Rolle.

Studien haben gezeigt, daß in Serbien nach nationalistischen Fernsehsendungen die Gewalt und auch die häusliche Gewalt gegen Frauen anstieg. Welche Rolle spielt der Nationalismus für sexuelle Gewalt?

In der europäischen Kulturgeschichte wurden Männlichkeit und Nation eng zusammengeschlossen. Den Bürgerstatus bekamen zunächst Männer als potentielle Verteidiger der Gemeinschaft. Auf diese Weise fand ein kultureller Zusammenbau statt von Männlichkeit, Nation und Gewalt, der bei sexueller Gewalt eine Rolle spielen könnte, der Rückwirkungen haben dürfte auf das Vorkommen geschlechtsspezifischer Gewalt, speziell im Kontext nationaler Auseinandersetzungen.

Es wird in der Politik viel geredet über vergewaltigte Frauen, hilft ihnen eigentlich auch jemand – jenseits der Arbeit der NGOs?

Die konkreten Bedürfnisse der Frauen sind selten ein Thema. Obwohl gerade in der Politik häufig auf die Ungeheuerlichkeit der Vergewaltigungen hingewiesen wird, gibt es meines Wissens kein subventioniertes Programm, das diesen Frauen konkret helfen würde. Interview: Heide Oestreich