„Eine Erleichterung“

Netanjahu ist weg. Auf dem Jitzhak-Rabin-Platz feiern Tausende Anhänger des künftigen Regierungschefs Ehud Barak. Der gibt sich versöhnlich  ■ Aus Tel Aviv
Susanne Knaul

„Er ist arbeitslos“, rufen die feiernden Israelis auf dem Platz vor dem Tel Aviver Rathaus, glücklich über die Niederlage von Benjamin Netanjahu. Schließlich hatten so viele Menschen unter seiner Regierung ihren Arbeitsplatz verloren, warum sollte „ausgerechnet er seinen behalten“, so hatte die Oppositionsliste „Ein Israel“ im Wahlkampf gefragt.

Die Leute auf dem Tel Aviver Rathausplatz, der seit knapp vier Jahren den Namen des dort ermordeten Premierministers Jitzhak Rabin trägt, feiern in erster Linie das Ende der Netanjahu-Regierung und erst an zweiter Stelle den Sieg des künftigen Premierministers Ehud Barak. Schon kurz nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen haben sich spontan mehrere zigtausend Menschen versammelt. Vor Freude fallen sie sich um den Hals, tanzen und singen und halten brennende Kerzen in den Händen bis morgens um 3 Uhr, auf den künftigen Regierungschef wartend. Feuerwerkskörper erhellen den Himmel.

Schon die ersten Hochrechnungen ließen keinen Zweifel daran, daß Barak Netanjahu ablösen würde. Als aufrechter Verlierer zog der scheidende Premierminister schon sehr schnell nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen vor die Aktivisten seiner Partei und beglückwünschte den Gegner zum Sieg. „Man muß den Wunsch des Volkes ehren“, sagte Netanjahu. „So ist das in einer Demokratie.“ Im gleichen Atemzug kündigte er seinen Rücktritt als Vorsitzender des Likud an.

Ohne Netanjahu als Parteichef ist die Partei als potentieller Partner in der künftigen Regierungskoalition für Barak attraktiv geworden. Israels künftiger Regierungschef deutet bereits in seiner Rede auf dem Rabin-Platz an, daß er eine breite Koalition im Parlament anstreben wird. „Vergeßt nicht, daß wir diesen Erfolg auch vielen traditionellen Likud-Wählern zu verdanken haben“, fordert er die Menschenmenge auf. „Ich werde Premierminister auch derer sein, die mir nicht ihre Stimme gegeben haben.“

Der Wahlsieger will die Klüfte und den Haß im eigenen Volk bekämpfen zwischen orientalischen und europäischen Juden, zwischen den Weltlichen und den Religiösen. Immer wieder und immer lauter ruft die jubelnde Menge: „Nur nicht Schas!“ Die orientalische ultraorthodoxe Partei hat mit einem Stimmenzuwachs von 60 Prozent den größten Erfolg unter den etablierten Parteien des Landes für sich verbuchen können.

Als Ehud Barak die Richtlinien aufzählt, an denen er sich für die bevorstehenden End-Status-Verhandlungen mit den Palästinensern orientieren will, wird es zunehmend still in der Menge. Keine Trennung Jerusalems, keine 100prozentige Landaufgabe im Westjordanland, statt dessen die weitgehende Aufrechterhaltung der jüdischen Siedlungen. Für kurze Zeit besinnen sich die Zigtausenden linken Aktivisten plötzlich des alten Chefs der Arbeitspartei: „Schimon Peres! Schimon Peres!“ rufen sie, doch der hält sich im Hintergrund. Vor knapp vier Jahren hatte er am gleichen Ort hinter dem damaligen Premierminister Rabin gestanden und der Menge zugewunken. Kurz darauf fielen die tödlichen Schüsse.

„Der heutige Tag entschädigt uns ein klein bißchen für das, was vor vier Jahren hier passiert ist“, sagt eine junge Studentin. „Es ist nicht so sehr Freude, als eher Erleichterung“, beschreibt sie ihr Gefühl nach dem Wahlsieg Baraks.

Völlig isoliert halten mitten in der Menge für kurze Zeit drei junge Männer mit Kipa auf dem Kopf ein Schild hoch: „Netanjahu an die Regierung!“ Doch abgesehen von einigen Fotografen will niemand recht von ihnen Notiz nehmen. „Wäre es umgekehrt und zwei Linke kämen zur Wahlfeier des Likud, würden sie sicher gleich verprügelt werden“, kommentiert eine Passantin den Auftritt der drei Provokateure. Wenn Netanjahu noch vier Jahre weitermachen würde, dann hätte er den Staat sicher in einen Krieg geführt“, sagt sie. Aber es sei nicht nur die äußere Bedrohung, die sie die weite Reise machen ließ, nur um ihre Stimme abzugeben, sondern die Angst um die innenpolitischen Entwicklungen. „Netanjahus einzige Waffe war der Haß. Er stachelte auf radikale Weise die Gruppen in ihrer Konfrontation gegeneinander an. Er ist ein Mann voller Haß, voller Lügen und leeren Versprechungen.“

Links und rechts des großen Platzes hat die Arbeitspartei riesige Bilder von Jitzhak Rabin aufgehängt. Es scheint, als schaue Rabin dem frühlichen Treiben zu. „Ich verspreche euch, und ich verspreche Jitzhak Rabin, unserem Wegbereiter, daß die Dämmerung eines neuen Tages begonnen hat“, sagt Barak. Er hoffe, daß „Israel keine Kriege mehr erleben muß“. Dieses Versprechen löst begeisterte Jubelrufe aus.

Barak wiederholt seine im Wahlkampf geäußerte Verpflichtung, „unsere Jungs innerhalb eines Jahres aus dem Südlibanon wieder nach Hause zu holen“. Er will zudem die großen Entscheidungen, vor denen der Staat Israel steht – allem voran die End-Status-Regelungen mit den Palästinensern –, in einem Referendum durch das Volk bestätigen lassen.

„Wir werden einen Frieden machen, der auf Stärke und Sicherheitsgefühl basiert“, verspricht Barak. „Keinen Frieden auf Kosten der Sicherheit, sondern einen Frieden, der uns Sicherheit bringen wird.“

Dem Aufruf des künftigen Regierungschefs, für seinen Erfolg „zu beten“, kommen allerdings nur ganz wenige der versammelten Israelis nach.