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Mythen posen

Publikumskompatibel: Einar Schleefs Wiener Uraufführung von „Der Golem in Bayreuth“ von Ulla Berkéwicz und ihrem Bruder Lesch Schmidt  ■   Von Cornelia Niedermeier

Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Schleef. Und siehe, es war gut. Denn Schleef, in dessen Körper permanenter Krieg herrscht des Sprechens, des Aus-Sprechens gegen den Gedanken, kennt das Wort. Er kennt seine Wucht, seine Dynamik, seinen Rhythmus. Seine Macht. Er kennt das Chaos und kennt die Ordnung. Die Ordnung des rhythmisierten Sprechens, in welchem sich der Sinngehalt des Wortes melodisch überhöht offenbart. Im Anfang also war das Wort bei Schleef.

Im kleinen Wiener Akademietheater, dem zweiten Raum des Burgtheaters, sticht er, schwarzer Anzug, oranges Hemd, Diktator in Furor, durch die Gänge des Zuschauerraums. Stop und „Es ist Krieg, Freund, Krieg! In den Städten, auf den Straßen! Sie kommen! Sie sind nicht mehr aufzuhalten!“ Zorn liegt in der Rede, Wüten, Aggression. Die geballte Energie dieses theatralen Wüterichs, seine Maßlosigkeit pulsiert in den Sätzen und dröhnt durch den Raum. Schleef spielt eine Rolle, seine Rolle, und er spielt sie höllisch gut.

Als Stadtrat von Bayreuth, Mann von Law und Order, ruft er den Krieg aus gegen die anstürmenden Massen, die Unzufriedenen, die „Haßkappen“, die herandrangen am Karfreitag gegen den Zirkel der Eingeweihten, der Festspielgemeinde im Parsifal-Zauber. Bebendes Bürstenhaar, massiger Kopf, brüllt er, kläfft, schmeichelt, Volksverhetzer aus Überzeugung.

In Momenten wie diesen ist Schleef Schauspieler, einer der besten der deutschen Sprache, weil unendlich maßloser, mutiger, bedingungsloser als die Kollegen. Überzeugungstäter, nach Demagogenart (wenn auch aus anderen Gründen), vom eigenen fließenden Wort berauscht, hinweggespült. Wenige Minuten später allerdings war die Rede beendet, die Haßkappen stürmten heran, schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, schwarzer Schlagstock: „Haß, Haß, Haß macht Spaß, setz die Haßkappe auf und schlag drauf!“ Kakophonisch vermengt mit dem Chor der Festspielgäste, schwarz auch sie, oben auf der Bühne.

Der Abend begann – und war, wie sich im nachhinein herausstellen sollte, schon wieder zu Ende. Kein Moment der dreieinhalb folgenden Stunden erreichte die Kraft, die Wahrhaftigkeit des Schleefschen Auftritts. Der Rest war – das Schlimmste, was man über eine Schleefsche Inszenierung sagen kann – Kunsthandwerk. Das selbstverliebte Ausstellen der eigenen Beherrschung des formalen Kanons. Selbstzitate inbegriffen. Chöre marschierten auf und wieder ab. Formierten sich zu Reihen, zerfielen in wild überzeichnetes Disco-Gezappel, skandierten Sätze, sangen Choräle. Trugen Judenlocken oder soldatische Tarnanzüge. Ertüchtigten sich in Kampfgymnastik.

Der Rest war, so verkündete es der Programmzettel, Einar Schleefs „Wiener Fassung“ von Ulla Berkéwiczs uraufzuführendem Musiktheaterspiel „Der Golem in Bayreuth“, Musik: Berkéwiczs Bruder Lesch Schmidt. Freilich, von des Geschwisterpaars Frankfurter (Suhrkamp!) Fassung war nach Schleefs Verdauungsarbeit des Materials nicht viel verblieben. Zumindest was den Text anbelangt – die Partitur entzog sich der öffentlichen Begutachtung –, lag hier jedoch kaum Grund zur Trauer vor. In klassische fünf Akte verpackte Berkéwicz, die Dichterin und Gattin des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, dort in hübsch postmoderner Mythencollage das Weltbild des wohlsituierten, bildungsbürgerlichen, exlinken Kulturpessimisten.

In Bayreuth treffen übersättigte Festspielgäste auf sozial und geistig verarmten Pöbel. Es gärt, wo solche Unterschiede herrschen, auch Ost und West ist angedacht (Jugoslawien! Bulgarien! Rumänien! Rußland!). Und die Überheblichkeit des Rationalisten sowieso. „Ich setze Gott ab!“ brüllen mittelalterliche Kabbalisten im zweiten Akt. Und schaffen gottgleich ihren eigenen Adam aus Lehm, den Prager Golem. Das kann natürlich nicht gut gehen, und später wird Golem, der ewige Underdog, zum Anführer der Haßkappen mutieren. Noch später aber, und daran ist der Computer schuld, des Rationalismus liebstes Kind, zu Parsifal, dem reinen Tor. Des Toren törichter Schlußsatz: „Ein Alf, Talf, Balf.“ Alles klar?

Auch die Musik läßt sich nicht lumpen und zitiert von Wagner über Offenbach. Kreißler-Anklänge finden sich ebenso wie Jazz und Blues und kräftiger Bigband-Sound mit viel Metall. Daß Schleef diese jüdisch-christliche Verbrüderung im Zeichen der Rationalismuskritik aufbrach, den klebrigen Mythenseim von der Bühne kratzte, ist so falsch also nicht.

Nur: Schleef zerstörte die ursprüngliche Form des Mythen-Musicals, ohne klare Stellung zu seinem Material zu beziehen. Andererseits nämlich kehren viele mythologische Zitate optisch verschlankt wieder. Seinen formalen Aktionen fehlt in dieser Aufführung jede erkennbare inhaltliche Stoßrichtung. Weshalb sie als beliebig erweiterbarer Bilderreigen ermüdend vorüberstampfen, tröten, tanzen, singen.

Schleef, so will es scheinen, hat sich eingefügt in das Wiener Kulturleben. In seiner dritten Burg-Inszenierung wiederholt er mit über fünfzig Darstellern „Sportstück“-erprobte Formvariationen. Nur: klein, weniger sperrig, publikumskompatibel. Die originäre Wut fehlt. Wie seine Maßlosigkeit, seine Unangepaßtheit verkommt sie zur Pose. Zur Rolle. Schleef heute spielt den Schleef von einst. Höchste Zeit, der Burg den Rücken zu kehren.

Unoriginäre Wut, Unangepaßtheit als Pose: Schleef spielt heute den Schleef von einst

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