■ Kosovo: Die Nato-Kritiker müssen sagen, was sie vorschlagen: Bombenstopp ohne Bedingungen?
Viele Kommentatoren haben den Grünen vorgeworfen, daß sie sich in der Kosovo-Debatte von ihren Grundsätzen entfernt haben. Das ist typisch deutsch. Warum macht sich keiner Gedanken, wie die verfahrene Lage entwirrt werden könnte? Ferne Balkankonferenzen werden geplant, aber vor Entwürfen für die möglichen kurzfristigen Wege scheut sich jeder. Wo bleibt die Diskussion von Alternativen?
Kurzfristig gibt es zwei Optionen: Die erste ist der von der Nato eingeschlagene Weg. Er beschränkt sich im wesentlichen auf die Devise „Weiterbomben, Reisediplomatie und abwarten“. Die entscheidende Frage ist in der Allianz die nach den Bodentruppen. Aus militärischer Sicht muß sie in den nächsten Wochen beantwortet werden. Die Deutschen sind dagegen, die Franzosen zieren sich, die Briten machen Druck, und die Amerikaner werden sich nicht lumpen lassen – zum Einsatz von Kampftruppen kann es also kommen. Dann aber wird es mehr Opfer als bisher geben, die Nato wird ihre Vormacht beweisen müssen, und das Kosovo wird mit aller Wahrscheinlichkeit auf ewig ein Protektorat. Es ist kaum vorstellbar, daß Belgrad dann so mir nichts, dir nichts mit der Allianz kooperiert. Wie Serbien darauf reagieren würde? Die Antwort ist unsicher, vielleicht setzt sich die Einsicht durch, daß Miloevic einen Teil Serbiens verspielt hat. Ein Weg ohne Bodentruppen wird immer unwahrscheinlicher, wenn sich nicht in allernächster Zeit innerhalb Jugoslawiens Entscheidendes tut.
Dort werden die kritischen Stimmen lauter. Nach dem Nationalisten Drakovic haben sich die Ebenso-Nationalisten Djindjic und Djukanovic hervorgetan. Auch gibt es kleine Demonstrationen in Serbien, die sich immer offensichtlicher gegen Belgrad richten. Südosteuropa-Experten weisen auf den wachsenden Unmut unter den Militärs hin. Bekommt der Fünf-Punkte-Plan Unterstützung von Rußland, wäre die Nato-Allianz vielleicht am Ziel. Nur wäre Miloevic am Ende, und das will er nicht. Was also geschieht dann? Weiterbomben?
Aber das wollen viele Menschen im Westen nicht. Ihre Forderung lautet: „Aufhören ohne Bedingungen.“ Was aber dann geschähe, bleibt allzu oft im nebulösen. Warum eigentlich? Dabei ist auch in diesem Fall der Weg einigermaßen vorgezeichnet: Es gäbe eine neue Verhandlungsrunde mit Serben und Russen – vielleicht könnte man nun als die üblichen Puffer Länder wie Finnland, Österreich oder Schweden hinzuziehen. Sehr sicher aber wäre, Miloevic würde erst Spannung aufkommen und etwas auf sich warten lassen, dann aber als großer Gewinner bei den erneuten Gesprächen erscheinen. Durch Druck, wie etwa Boykottdrohungen, würde er überraschend Kompromisse in Aussicht stellen, währenddessen sich aber die Verhandlungen in die Länge ziehen.
Gleichzeitig könnten serbische Militär- und Paramilitärverbände im Kosovo Fakten schaffen und über das bereits jetzt Geschehene hinaus all das vernichten, was die Flüchtlinge zur Rückkehr bewegen könnte (Bosnien ist das Beispiel). In erhaltene Gebäude könnten serbische Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien einziehen, die, wie sich in der bosnischen Republika Srpska zeigt, zukünftig nicht mehr gewillt sind, auszuziehen.
Nun ist bei derart möglichen Verhandlungen von der Teilung des Kosovo die Rede – das wird die Belgrader Machtclique mitnichten zulassen und mitmachen. Vielmehr wird sie nach einigem Verhandeln der Provinz einen Autonomiestatus geben und die Albaner zur Rückkehr einladen. Miloevic könnte zur Überwachung auch eine internationale Truppe zulassen – doch unter keinen Umständen wird er sich auf eine Nato-Rußland-Zusatzstaaten-Truppe wie die SFOR in Bosnien einlassen, sondern nur auf eine UN-Truppe mit eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten. Nur: Welche Flüchtlinge werden dann dorthin zurückkehren? In den serbischen Teil Bosniens ziehen trotz Dayton-Vertrags, der die Rückkehrmöglichkeit garantiert, kaum Muslime.
Ist das die Alternative, die man der Nato entgegenstellt? Oder gibt es noch andere? Wenn, dann sollten sie die Gegner der Angriffe schleunigst vorstellen. Wir brauchen eine sachliche Diskussion, kein Klima lähmender Diffamierung. Uwe Pollmann
Journalist und Mitbegründer des deutsch-bosnischen Vereins „Most“
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