Hoffen auf den reichen Scheich

■ Der Direktor eines Cottbuser Klinikums spart, so gut er kann. Jetzt fürchtet er, wie viele seiner Kollegen im Osten, die Gesundheitsreform

Cottbus (taz) – „Beim Geldausgeben mußt du eine ruhige Hand haben“, riet ihm sein Vater einst. Ein guter Rat. Besonders für einen, über den mit 51 Jahren westlicher Geldsegen hereinbricht. Am 9. November 1990 wird Wolfgang Handreg Direktor des Carl-Thiem-Klinikums in Cottbus. Unversehens wird er damit zum Verwalter von Millionen von Mark.

Aber lieber vorsichtig, lieber mit ruhiger Hand, denkt er. Bis heute habe er stets nach dem Motto seines Vaters gehandelt. Mit 1.350 Betten ist sein Klinikum das größte Krankenhaus in Brandenburg. Im März 1999 sitzt Handreg an seinem Schreibtisch und rechnet. Gerade haben die Krankenkassen ihre Bilanzen vorgelegt. Ihre Einnahmen sind zurückgegangen. Handreg stöhnt.

Fest steht, daß die ostdeutschen Hospitäler in diesem Jahr weniger Geld bekommen. Fest steht auch, daß sie wegen der Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst mehr Geld ausgeben müssen. Insgesamt fehlen der Klinik fünf Millionen Mark. Jetzt kommt auf Handreg die Gesundheitsreform von Bundesministerin Andrea Fischer zu. Die Krankenhäuser werden die Verlierer sein. Sie müssen Betten und Personal abbauen.

Wolfgang Handreg eilt zum Konferenzsaal. Besprechung der Abteilungsleiter. Auf jedem Platz liegt ein Papier aus Bonn – der Arbeitsentwurf zur Gesundheitsreform. Mit Politikern haben die Klinikmitarbeiter nicht die besten Erfahrungen gemacht. Neulich kam einer vorbei, Abgeordneter des Bundestages. So sehr hat er seine Zuhörer aufgebracht, daß heute in der Abteilungsleitersitzung Frau Schulz vom Zentralen Einkauf einen Beschwerdebrief an die SPD-Bundestagsfraktion vorliest. Jedem im Saal steht die Szene vor Augen, als der SPD-Politiker hier am Protesttag der ostdeutschen Krankenhäuser ans Rednerpult trat. Zum Thema Krankenhausfinanzierung könne er leider nichts sagen. Er kenne sich zwar mit Energie-, nicht aber mit Gesundheitspolitik aus. Frau Schulz endet. Alle unterschreiben.

Doch was soll so ein Brief schon ausrichten? Den Arbeitslosen im Osten Arbeitsplätze herbeizaubern? Damit sie wieder ordentliche Beiträge zahlen in die Krankenkassen? Damit die Krankenkassen wieder mehr Geld für die Kliniken haben? Wenigstens hilft er an diesem Morgen, der Empörung Luft zu machen. Alle wissen, fünf Millionen kann ein Krankenhaus, dessen Kosten zu 70 Prozent Personalkosten sind, so einfach nicht sparen. Fünf Millionen – das sind für das Carl-Thiem-Klinikum 40 befristete Verträge mit Krankenschwestern, die im September nicht mehr verlängert werden, und 40 weitere Stellen, die irgendwo gestrichen werden müssen. Also Leute entlassen?

Die Klinik hält dem Vergleich mit dem Westen stand

Wirklich wütend machen Handreg Politiker, die meinen, der Osten solle erst mal lernen, wirtschaftlich zu arbeiten. Dabei hält seine Klinik dem Vergleich stand, zum Beispiel mit einer ähnlich großen Klinik in Baden-Württemberg: „Wenn es eine Gleichbehandlung gäbe, dann könnten wir hier noch 458 Leute mehr einstellen“, hat Handreg berechnet. Neuerdings spricht er, der CDU-Wähler, wie ein PDS-Politiker: „Wir leben noch immer in einem gespaltenen Deutschland. Und hier spaltet die Bundesregierung.“

Was tun? Den Brief an die SPD abheften, ab zu den Unterlagen – wie das Faltblatt, das Privatpatienten aus dem Ausland anlocken sollte? Warten auf den reichen Scheich? In Cottbus? Nein, sagt Handreg, der käme, wenn überhaupt, wohl eher in München oder Berlin an. Sein Faltblatt wirbt auf polnisch – angelockt hat es bis heute niemanden.

Wenn jetzt den ostdeutschen Krankenhäusern die Budgets gekürzt werden, dann trifft das alle Kliniken im Osten gleich. Egal, was die eine oder andere schon gespart hat. Das macht Wolfgang Handreg nachdenklich: War es ein Fehler, das Geld aus den ersten Jahren zinsgünstig anzulegen, bis die Sanierung der Stationen in der Kinderklinik aus eigenen Mitteln finanziert werden konnte?

Auf 100 belegte Betten kommen heute in der Klinik 145 Leute Personal – vom Koch bis zum Chefarzt. Der Durchschnitt in Ostdeutschland liegt bei 165 Leuten, im Westen bei 185. Handreg zählt auf: die Teilzeitstellen, den Freizeitausgleich für Überstunden, die effektivere Schichteinteilung auf den Stationen, die Kürzung der Aufenthaltsdauer der Patienten. Kündigungen. Jetzt noch einmal Leute entlassen?

Als der frühere Leiter der Informatikabteilung auf den Direktorposten kommt, schafft er, was zuvor unmöglich war: Chef sein ohne Parteibuch. Heute haben seine Abteilungsleiter schicke Büros, er ist bei den DDR-Schrankwänden geblieben, weil ein Verwaltungsdirektor das Geld anderer hüten und ein Vorbild sein soll.

Wolfgang Handreg, der Sparsame, der Rechner, der Vorturner, der Ehrgeizling – ein Sturkopf: Daß das Gesundheitssystem reformiert werden muß, sieht er ein. Daß mit der Gesundheitsreform ambulante Einrichtungen gefördert werden und Krankenhäuser Betten abbauen sollen, sei im Prinzip richtig. Aber daß sein Krankenhaus, („das wirtschaftlichste in ganz Brandenburg“) weiter einsparen soll, davon will er nichts hören: „Ich akzeptiere die Reformpläne, aber ich bin dagegen, daß das wenige Personal, das wir haben, dafür bluten muß.“ Alternativen? Achselzucken. Yvonne Wieden