Deutschland und der Krieg, Teil VIII und Schluß: Hamburg, Elbstrand
: Keine Kriegsmeinung nirgends

■ Die Hilflosigkeit ist groß in Deutschland in diesen Tagen. Und die Erleichterung, nicht politisch verantwortlich zu sein für die Entscheidungen, die getroffen werden müssen

Nach 2.500 Kilometern Fahrt durch ein Land im Krieg, durch Deutschland, bin ich schließlich in der Strandperle angekommen, am Hamburger Elbsandstrand. Große Dampfer mit erstaunlich fremden Fahnen ziehen vorbei, Schaufelraddampfer, Segelboote. Es riecht nach Öl, Wind und Kartoffelsalat.

Am gegenüberliegenden Ufer werden Container in Schiffe verladen, und hier am Strand vor den schönsten Villen der Stadt sitzen die reichen und weniger reichen Nichtstuer hinter Sonnenbrillen und sehen sich um.

„Irgend jemand mit 'ner Kriegsmeinung hier?“

„Och, laß mal.“

Da, ein Mädchen mit einem wehenden roten Tuch über den Schultern. Mit einem schwarzen Adler darauf. Das ist doch eine Fahne? Die Fahne Albaniens. Da muß ich hin.

Kriegsmeinungsreporter auf Deutschlandfahrt: „Warum trägst du die albanische Flagge über den Schultern, Mädchen?“ Sie sagt nichts. Die Eltern stehen dabei und wundern sich. „Hat das eine politische Bedeutung?“ frage ich. „Das ist doch gewiß eine Solidaritätsadresse mit den Flüchtlingen, nicht wahr?“ Kopfschütteln. „Der Mann will uns belästigen!“ kräht mich der kleine Bruder des Mädchens auch schon an. Die Eltern sagen: „Nein, das hat nichts mit dem Krieg zu tun“, und wenden sich ab.

Ganz in der Nähe ist ein Nageleinschlagwettbewerb. Versenken mit drei Schlägen gibt als Preis eine Fahne. Man kann albanische, polnische und rumänische Fahnen gewinnen. Die albanische geht am besten, heißt es. „Warum?“ – „Weil die so schön rot ist.“ Keine Kriegsmeinung nirgends.

„Und dazu soll ich eine Meinung haben? Ausgerechnet eine Meinung?“ hatte der österreichische Schriftsteller Robert Menasse in der Anfangsphase des Krieges in einem Artikel in der FAZ gefragt. Detailliert hatte er all die verwirrenden Details dieses Krieges aufgelistet, all die Widersprüchlichkeiten, die es ihm unmöglich machten, in diesem Konflikt mit einiger Überzeugung für die eine oder andere Option entschieden einzutreten.

Es ist Krieg in Europa, Verbände der Bundeswehr nehmen zum ersten Mal in ihrer Geschichte an Kampfhandlungen teil, und die Deutschen meinen zu all dem recht wenig.

Oder nein: Sie meinen schon alle etwas, und die meisten sind auch in der Tat froh, daß sie nach acht Wochen mehr oder weniger einsamer Fernsehkriegsbetrachtung mal einer fragt, was sie eigentlich von der ganzen Sache halten. Aber dann halten die meisten doch nicht richtig was davon, nicht von dem einen: dem Geschehenlassen der Vertreibung, nicht von dem anderen: den Luftangriffen. Plötzlich nach einer klaren, notierbaren Stellungnahme und Position befragt, stocken die meisten, nachdem sie zunächst einmal beide Optionen rundweg abgelehnt haben.

„Ja, und wofür sind Sie nun also?“

Ähem: „Mehr verhandeln“ „Miloevic umbringen“, „An die Vernunft appellieren“, „Spielplätze statt Splitterbomben“ und so weiter.

Die Hilflosigkeit ist groß in Deutschland in diesen Tagen. Die Meinungen der Menschen haben wenig Vehemenz, wenig moralische Sicherheit. Skrupel vor einer allzu entschiedenen Positionsbeziehung fast überall. Und eine Erleichterung darüber, nicht politisch verantwortlich zu sein für die Entscheidungen, die getroffen werden müssen.

Hier, am Elbsandstrand, hat sich diese Erleichterung zur totalen Entspannung erweitert. Oder? In der Würstchenausgabe der Strandperle, hinten in der Küche, spielen sie da nicht Albano und Romina Power? Albano? Power? Ich muß gleich mal den Wirt fragen, was das zu bedeuten hat. Text und Fotos: Volker Weidermann