Indonesiens verwirrender Rausch

Ein Jahr nach dem Sturz Suhartos tobt in Indonesien der Wahlkampf. Doch die große Zahl der kaum zu unterscheidenden Parteien verwirrt die Wähler, Persönlichkeiten und Symbole ersetzen Programme   ■  Aus Jakarta Jutta Lietsch

Indonesiens Ex-Präsident Suharto hat gestern erstmals seit Monaten sein Schweigen gebrochen: Vehement bestritt er, in den 32 Jahren seiner Herrschaft ein riesiges Vermögen gescheffelt und beiseite geschafft zu haben: „Ich habe kein Geld im Ausland“, sagte er dem US-Fernsehsender CNN. Sollten aber doch in einer ausländischen Bank Konten unter seinem Namen geführt werden, dann stekke „jemand anderes“ dahinter.

Erst kürzlich hatte das amerikanische Magazin Time den Reichtum des Suharto-Clans auf rund 15 Milliarden Dollar geschätzt und berichtet, große Teile davon seien außer Landes geschafft worden. Der Report schlug in Jakarta wie ein Blitz ein. Wieso, fragen sich Oppositionelle, haben die indonesischen Ermittler trotz monatelanger Suche nichts gefunden? Dies könne „den Verdacht nur beflügeln“, kommentierte die Jakarta Post gestern, „daß die gegenwärtige Habibie-Regierung entschlossen ist, die Frage des Suharto-Reichtums nicht anzurühren“.

Gestern wurde in mehreren indonesischen Städten mit zum Teil gewaltsamen Protesten des Sturzes von Suharto vor einem Jahr gedacht: Angesichts einer kollabierenden Wirtschaft, protestierender StudentInnen und brennender Straßen in der Hauptstadt hatten sich zuletzt auch loyale Anhänger in der Armee gegen Suharto gewandt. Seitdem sitzt er in seiner Residenz in der Cendana-Straße. Militärs schützen ihn vor Demonstranten, die ihn vor Gericht bringen wollen.

Suhartos Nachfolger B. J. Habibie, dem viele vor einem Jahr keinerlei politische Überlebenschance gaben, ist immer noch im Amt. Zwar hatte der politische Ziehsohn Suhartos und frühere Technologieminister damals erklärt, er sei nur Übergangspräsident. Aber längst hat er Geschmack an der Macht gefunden. Erst vor wenigen Tagen ließ er sich von der Regierungspartei Golkar zum Spitzenkandidaten für das Amt des Staatschefs küren.

Ob seine Partei es bei den Parlamentswahlen am 7. Juni in die Regierung schafft, ist sehr zu bezweifeln. Denn Golkars Erfolg ist nicht mehr wie unter Suharto garantiert. Statt dessen dürfen die IndonesierInnen erstmals seit 1955 demokratisch abstimmen. „Wir erleben derzeit eine Ära der demokratischen Euphorie,“ beschreibt Bildungsminister Juwono Sudarsono die Stimmung in Jakarta.

Schon bevor der Wahlkampf am Mittwoch offiziell eröffnet wurde, hatte das Wahlfieber das Land erfaßt: Auto- und Motorradkonvois der Parteien fahren seit Tagen durch die Straßen der Städte, verziert mit bunten Flaggen und Postern. Jugendliche in T-Shirts mit Parteiemblemen vergnügen sich fahnenschwenkend auf den Dächern der Wahlkampfautos. Busfirmen verleihen ihre Fahrzeuge gegen gutes Geld an die Parteien – auch wenn dann der Linienverkehr einmal ausfallen muß. Vielerorts herrscht ein heißer Wettbewerb, wer die jeweilige Parteifahne auf einen höheren Baum oder Schornstein anbringen kann.

Das demokratische Experiment ist ebenso berauschend wie verwirrend: Nachdem jahrzehntelang nur drei Blockparteien zugelassen waren, sollen die Indonesierinnen nun zwischen 48 verschiedenen Gruppen entscheiden, von denen die meisten noch nie gehört haben. Als Entscheidungshilfe dienen Fernsehwahlspots. Darin sitzen die fast ausschließlich männlichen Parteichefs in verschiedenen Stadien der Erstarrung vor dem Symbol ihrer Partei und lesen Erklärungen ab. Dabei geht es kaum um politische Programme. Die Parteien gruppieren sich um Persönlichkeiten und emotionsbeladene Symbole: Mehr als ein Dutzend tragen das Wort „islamisch“ in ihrem Namen.

Auch der Stier, traditionell Symbol der „Demokratischen Partei Indonesiens“, deren Chefin Megawati Sukarnoputri zu den beliebtesten Politikerinnen des Landes gehört, taucht in mehreren Parteiflaggen wieder auf – zur großen Konfusion der WählerInnen. Megawati, die von Suharto 1996 mit Hilfe des Militärs vom Vorsitz ihrer Partei gestürzt wurde, hat kurzerhand eine „Demokratische Partei Indonesiens – Kampf“ gegründet. Ihr Bulle ist mit Abstand der furcheinflößendste – ein schwarzes Tier mit roten Augen, weißer Schnauze und sehr dickem Hals.

„Megas“ Chance, in die nächste Regierung zu kommen, sind stark gestiegen, seitdem sie zum Wochenbeginn eine Allianz mit zwei der einflußreichsten Oppositionsparteien einging: der „Nationalen Mandatspartei“ des muslimischen Professors Amien Rais und der „Nationalen Erweckungspartei“ von Abdurrahman Wahid. Sowohl Rais als auch Wahid haben eine große Anhängerschaft unter traditionellen muslimischen Organisationen. Megawati, Rais und Wahid eint ihre Opposition gegen Suharto und Habibie. Doch die drei haben die heikle Entscheidung, wer von ihnen Präsidentschaftskandidat wird, auf die Zeit nach den Parlamentswahlen verschoben.