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Böse Erinnerung an die „bleiernen Jahre“

■ Die kaltblütige Exekution des früheren Staatssekretärs D'Antona in Rom geht vermutlich doch auf das Konto der Roten Brigaden

Rom (taz) – Höchste Alarmstufe bei Italiens Sicherheitsbehörden, Aufregung bei Politikern: Der Mord am italienischen Rechtsprofessor Massimo D'Antona, 51, nahe der römischen Universität gibt Rätsel auf und erinnert viele an die düsteren Zeiten der „bleiernen Jahre“ des politischen Terrorismus. Dem Gelehrten, in der Regierung Dini 1994 Staatssekretär im Transportministerium, derzeit enger Berater von Arbeitsminister Bassolino und Spezialist für Gewerkschaftsfragen, war am Donnerstag morgen von zwei Männern aufgelauert worden. Er wurde von drei Schüssen getroffen und starb im Krankenhaus. Wenig später erklärte sich die „Falange Armata“, eine bisher als Geheimdienstkreation eingeschätzte Gruppe, als Attentatsurheber. Doch die Ermittler glauben eher einer Selbstbezichtigung der Roten Brigaden, die bei der Zeitung Il Messaggero und dem Corriere della Sera einging. Das zwei Dutzend Seiten starke Konvolut ist ganz in der Diktion früherer Elaborate gehalten mit dem Ziel, die Große Koalition der italienischen Politiker und die Kriegstreiber vorzuführen. Ausdrücklich bezieht sich das Schreiben auch auf die Nato-Angriffe gegen Jugoslawien. Diese, so heißt es, zielten auf die Zersplitterung der Bundesrepublik Jugoslawien.

Daß die beiden Attentäter keinerlei Masken trugen, spricht nach Ansicht der Staatsanwälte für eine Neuauflage des Linksterrorismus. „Die Rechte legt Dynamitbomben, die Linke schießt mit offenem Visier“, wie der ehemalige Chefermittler gegen die ersten Generationen der Roten Brigaden, der 1982 von der Mafia ermordete Carlo Alberto Dalla Chiesa gesagt hatte. Da der Bekennerbrief das Siegel der Roten Brigaden trägt – den fünfzackigen Stern mit der Maschinenpistole – und sich die Gruppe „Rote Brigaden zum Aufbau des kämpferischen Kommunismus“ nennt, hält die Polizei das Schiftstück für echt.

Unklar bleibt dennoch, warum sich die Attentäter gerade D'Antona herausgesucht hatten: Der Mann war nur wenigen als wichtiger Berater bekannt, es dauerte Stunden, bis die Presse mehr als nur ein eher verschwommenes Foto von ihm auftreiben konnte. Zuletzt hatte er führend am Bündnis für Arbeit mitgewirkt und eine Reform des Streikrechts vorbereitet. Zur Tradition der Roten Brigaden gehört es allerdings, sich nicht nur die „hohen Tiere“ der Politik und der Strafverfolger als Ziel auszusuchen, sondern auch die „Grauen Eminenzen, die gefährlicher sind als die Strohmänner auf Ministersesseln“, wie ein Bekennerbrief nach der Ermordung von Ezio Tarantello 1984 reklamierte. Auch Tarantello war Gewerkschaftstheoretiker und von den Roten Brigaden ausgesucht worden, weil er die Arbeiterbewegung modernisieren und „dabei die Massenkraft des Proletariats zerstören wollte“.

Die Regierung zeigte sich nach dem Attentat aufs höchste „beunruhigt und bestürzt“, wie Ministerpräsident Massimo D'Alema sofort nach dem Anschlag erklärte. Der eben inthronisierte Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi sah in dem Vorfall „einen besonders schlimmen Beginn“ seiner Amtszeit. Innenministerin Rosa Russo Jervolino referierte im Parlament über die Maßnahmen, Oppositionsführer Berlusconi empfahl, „in Kreisen zu suchen, wo sich Spontis und Randfiguren treffen und düstere Pläne auskochen“. Als gestern große Teile der Presse Zweifel an der Entstehung echter neuer Zellen der Roten Brigaden anmeldeten – obwohl oder gerade weil die Geheimdienste vor einer solchen Entwicklung warnen – suchte die Regierung mit einer Art Pfeifen im Walde Souveränität zu zeigen: „Wir haben den Terrorismus bereits einmal besiegt“, erklärte Ministerpräsident D'Alema, „wir werden ihn erneut besiegen.“

Werner Raith

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