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■ Dokumentation der Rede von Rau nach der Wahl„Haben Sie Geduld“

„ [...] Aber ich sage jetzt, es ist für mich nicht nur eine selbstverständliche Pflicht, sondern auch eine persönliche Verpflichtung [...], der Bundespräsident aller Deutschen zu sein und der Ansprechpartner für alle Menschen, die ohne einen deutschen Paß bei uns leben und arbeiten.

Am 9. November [...] denken wir an den Tag vor zehn Jahren, an dem die Mauer gefallen ist. Wir werden uns, wir müssen uns daran erinnern, daß wir das denen zu verdanken haben, die mit Kerzen und Demonstrationen und Liedern und Gebeten sich freigemacht haben von einem System, in dem sie nicht mehr leben wollten. Aber wir dürfen nicht vergessen: Daß ihnen das gelungen ist, das haben wir Menschen in Warschau und in Prag, in Budapest, in vielen anderen Ländern zu verdanken, ohne die die deutsche Bürgerrechtsbewegung ihren Erfolg nicht hätte haben können. [...]

Ich wünsche mir, daß wir uns bei [...] allem politischen Streit [...] immer wieder neu darauf besinnen, daß wir in unserer Verfassung etliches unaufgebbar festgeschrieben haben: daß die Würde des Menschen unantastbar ist – da steht nicht „Würde der Deutschen“, sondern „die Würde des Menschen“ –, daß Frauen und Männer gleiche Chancen und gleiche Rechte haben sollen, daß das private Eigentum zugleich dem Allgemeinwohl dienen soll.

Es hat eine lange Diskussion gegeben, auch unter uns, über das Grundgesetz und seine Chancen, über das Verhältnis von Vaterlandsliebe, Patriotismus und Nationalismus. Ich glaube, daß Nationalismus und Separatismus Geschwister sind. Und ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.

Wir leben in einem Zustand des Krieges, der hervorgerufen ist durch Menschenrechtsverletzungen und durch schreckliche Verfolgung. Ich hoffe und wünsche, daß dieser Krieg nicht lange dauern muß, und ich hoffe, daß dann, wenn ich mein Amt antrete, die diplomatischen Bemühungen Erfolg gehabt haben.[...]

Nehmen Sie mich so an, wie ich bin, haben Sie Geduld mit meinen Schwächen, suchen Sie ein bißchen mit nach meinen Stärken. Und so sage ich: Ich grüße alle Deutschen, ich grüße unsere Nachbarn und ich grüße unsere Freunde überall in der Welt.“

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