Doppel-Whopper Deluxe

Einschalten, um abzuschalten: Die Hamburger Radiosender wollen nur das Beste für uns – und senden alle das gleiche. Letzte Woche diskutierten die Verantwortlichen über „Format-Radios und Radio-Formate“  ■ Von Michael Hess

Der norddeutsche Äther meint es gut mit uns. Die hier zu empfangenden 30 terrestrischen und 35 Kabelsender wollen eigentlich alle nur unser Bestes: „Die besten Hits der 80er und 90er und das Beste von heute“ (Radio Hamburg), „Das Beste am Norden“ (NDR 2), „Der beste Rock-Pop von heute“ (Delta), „The Power of Music“ (Energy 97,1), „Mix 95.0 Hits und Oldies“ (Mix 95.0), „Die Superhits der 80er und 90er und das Beste von heute“ (FFN). Wäre der Luftraum über Hamburg ein Imbißstand, es würde den ganzen Tag lang Doppel-Whopper Deluxe regnen.

Dabei war der Stolz auf das Erreichte nicht der eigentliche Grund, warum die Hamburgische Anstalt für neue Medien (HAM) letzte Woche zur 14. Hamburger Mediendebatte ins Curio-Haus rief. Passend zum Thema „Format-Radios und Radio-Formate“ fragte die oberste Wächterin des landesweiten Funkverkehrs nach der „Vielfalt im Gleichen“ und begrüßte die Medien- und Branchenvertreter mit einem Jingle-Sperrfeuer des einfachen Geschmacks.

Die Antworten waren so unterschiedlich wie die Standpunkte der einzelnen Interessensvertreter. Einig waren sich alle darin, daß die Diversifikation der Anbieter zu einer immer stärker werdenden Nivellierung des gesamten Rundfunkangebots führt. Tatsächlich hat sich seit Einführung des dualen Rundfunksystems und dem Aufkommen privater Radio-Anbieter vor fünfzehn Jahren das Radiomachen zu einer Frage des richtigen Formats entwickelt. Formatradio wurde zum unverzichtbaren Schlagwort, ging es um die Ursachenforschung zur inhaltlichen Verflachung der bundesweiten Radiolandschaft.

Als Medienkulturimport aus den USA beschreibt Formatradio dort seit über vierzig Jahren eine zielgruppenorientierte und schematische Segmentierung des Hörfunkprogramms. Dabei gibt es sowenig ein Format wie es nur ein Wetter gibt. Gerade hier herrschen die feinen Unterschiede. Adult Contemporary (NC), Alternative Rock, Rap, Classic Rock oder Top 40 sind auch hierzulande die Hauptfarben, innerhalb derer nach Nuancen wie hot AC oder soft AC unterschieden wird.

Das Erreichen einer eigenen, sich selbst ähnlich bleibenden Programmfarbe hat auch für die Hamburger Sender absolute Priorität. Laut Radio-Hamburg-Geschäftsführer Bertram Schwarz ist sein Sender ein „Sklave unserer Hörer“, und die wollen nun mal einschalten, um abzuschalten. Jeder einzelne Song klingt daher so wie das gesamte Programm. Ziel ist die Minimierung der Anzahl der Titel und Interpreten auf einige wenige, dafür aber alte Bekannte: Cher, Phil Collins, Tina Turner, Bryan Adams und R.E.M. Sender wie NDR 2, Radio Hamburg, FFN und Mix 95.0 füllen damit ein Gutteil ihres Tagesprogrammes. Die Auswahl neuer Nummern unterliegt einem Verfahren, das es an Wagemut und Vorsicht mit einer Papstwahl aufnehmen kann.

Nachdem die Musikredakteure, die es laut Bekunden einiger Programmdirektoren tatsächlich noch geben soll, aus dem Wust an Neuerscheinungen eine Handvoll auswählen, schlägt die Stunde der Marktforscher. Media-Research-Agenturen, wie die in Hamburg ansässige Coleman Research, ermitteln mit sogenannten call-outs die potentiellen Hits der einzelnen Formate. Repräsentativ ausgewählte Hörer entscheiden mittels einer zehnsekündigen Beschallung am Telefon über Hit oder Niete. Ein aufwendiges und teures Verfahren und wohl genauso effektiv, als befrage man Nachbars Pudel zum Unterschied von Chappi und Whiskas. Das alles sei, so die einhellige Meinung der Debatte, an sich nicht schlimm. Tatsächlich verstehen sich private Sender als Wirtschaftsunternehmen und können mit ihrem Geld machen, was sie wollen.

Ganz anders hingegen die Situation bei den mit Milliarden an Gebührengeldern gemästeten Öffentlich-Rechtlichen. Die stehen zusehends unter Rechtfertigungsdruck. Einerseits haben sie den gut bezahlten Auftrag, die Öffentlichkeit mit Unterhaltung, Information und Bildung zu versorgen, andererseits verteidigen sie diesen Anspruch gegen die privaten Quotenritter nur unter Aufopferung ihrer Legitimation. Bildung und Information wird so heutzutage mit Service übersetzt.

„Wir bieten in Norddeutschland das größte Service-Angebot“, frohlockte dann auch NDR-2-Wellen-chef Jörg Bollmann und verwies auf den „Mehrheitsanspruch“, den sein Sender schließlich zu erfüllen habe. In welchem Staatsvertrag der festgeschrieben sei, verriet Bollmann allderdings nicht. Ebensowenig, warum auch alle anderen NDR-Programme unter dem selbstauferlegten Quotendruck ihren qualitativen Anspruch vermissen lassen. Denn während NDR-Intendant Jobst Plog öffentlich gerne betont, „in allen Bereichen der Musikkultur Maßstäbe zu setzen“, führten in der Vergangenheit Versuche einzelner MitarbeiterInnen, ihren Intendanten beim Wort zu nehmen, schnell zu Abmahnungen. Auch schuf die Angleichung an das Programm der Privaten gerade in Hamburg immer wieder wettbewerbsrechtlich höchst fragwürdige Situationen. Nachdem der NDR 1994 bereits dem privatwirtschaftlichen Teenie-Sender OK-Radio mit dem werbefreien N-Joy den Garaus machte, versucht nun NDR 3 mit Klassik-Hits das Klassik-Radio auszukontern.

Doch nicht nur frustrierte HörerInnen klagen über die Vernichtung von Programmnischen. Auch die rezessionsgeplagte Plattenindustrie beschwert sich über Liebesentzug seitens des Radios. „Das Radio hat für uns längst nicht mehr den Stellenwert, den es früher mal hatte“, betont Jochen Leuschner, Vize-Präsident der Sony Europa. Gerade was die Durchsetzung neuer Acts anbelangt, gilt die vielbeschworene Partnerschaft der Musikindustrie mit dem Radio als aufgekündigt. So verwundert es nicht, daß die Plattenbranche eigene Radiostationen plant und offen die freie Verfügbarkeit ihrer Musikprodukte im Radio in Frage stellt.

So bleibt nur zu hoffen, daß sich andere Chancen für außereheliche Allianzen bieten, bevor uns Sony FM und Hot Unviversal mit ihren besten Hits der 80er und 90er kommen. Ein möglicher Anfang schien diese Mediendebatte gewesen zu sein. Als Erhard Wohgemuth als Vertreter des Bundesverbandes freier Radios die Möglichkeit eines trialen Systems pries, blätterte der neben ihm sitzende „Mister Sony Europe“ schon mal vorsorglich im FSK-Transmitter.