Crazy Munich

„Dream City“ sucht in Kunstvereinen und über den Münchner Stadtraum verteilt nach urbaner Identität. Nicht alle Beteiligten kommen damit klar, daß die Ausstellungsinitiative von der Siemens AG ausgeht  ■ Von Jochen Becker

Willkommen in der Siemensstadt“ und „Invitation to do business“ verheißen zwei Leuchtkästen über der Gangway, die Berlin-Tegel mit München-Franz-Josef-Strauß verbindet. Aus der alten in die neue Siemens-Stadt führt der Weg zum Ausstellungsprojekt „Dream City“, das sich als Siemens-Kulturinitiative gemeinsam mit drei öffentlichen Münchner Kunstinstitutionen ankündigt.

Als Rüstungskonzern und auch als Profiteur von den Sklavendiensten der ZwangsarbeiterInnen ist die Siemens AG gleich mehrfach Kriegsgewinnler. Die Münchner Region wiederum profitierte von den Kriegsfolgen, als im Februar 1945 die Konzernzentrale aus der Reichs- in die heimliche Hauptstadt umzog. „Der Kalte Krieg ließ München zum Zentrum der Rüstungsindustrie werden“, vermerkt hierzu trocken ein AutorInnenkollektiv des Geographischen Instituts der TU München im Katalog zur „Dream City“.

Voraussetzungslos ist eine Industriekulturinitiative also nicht zu haben, und darin ist Siemens nur ein Beispiel. Schon vor 15 Jahren erschien in Emma ein Selbstinterview der Roten Zora, in dem sie ihre Anschläge auf Siemens und Nixdorf mit der „Entwicklung neuer Herrschaftstechnologien der Kriegsproduktion und der Widerstandsbekämpfung“ begründeten. Das Zitat findet sich jetzt im via Siemens finanzierten Ausstellungs-Reader „never give up!“ und verweist auf die Wirren des Ausstellungsprojekts.

Zumindest zwei Filter legen sich vor die Beschäftigung mit einer Kulturinitiative der Siemens AG. Denn neben Ausrüstungs- oder Atomgeschäften oder den verschleppten Entschädigungszahlungen geistern auch Zensurfälle, Distanzierungsschreiben und Künstlerkongresse zum „Siemens Kulturprogramm“ durch die Ausstellungsräume. Es ist erstaunlich, welche Konfliktlinie an „Dream City“ anknüpft. Selbst die FAZ verwendet fast ein Drittel ihrer Besprechungen auf solche Widersprüche. Das gilt aber auch für die beteiligten KünstlerInnen: Wieviel Streß und Legitimationsdruck müssen die historischen und politischen Vorgaben ausüben, wenn bei ansonsten eher dröger Werksgeschichte die Geschwister Hohenbüchler hier eine Installation zur rassistischen Geschichte des Oktoberfests abliefern, während sehr viel kritischere TeilnehmerInnen ihre Mitarbeit hinschmissen, als die „Dream City“ ihnen das Leben schwermachte?

Vollends zur Farce wurde die Ausstellung, als sich der Kunstvereinsleiter Dirk Snauwaert – völlig zu Recht – zur Eröffnung von einem Projekt distanzierte, bei dem durch den Verkauf von Ausstellungsraum und Katalogseiten an BMW der Erwerb eines knapp 70.000 Mark teuren Sportwagens für das Künstlerduo Plejanov/Hager heraussprang. Offenbar hatte sich der Siemens-Kurator Dirk Luckow nach dem Hinauswurf des Künstlers Dierk Schmidt aus der vorangegangenen Ausstellung im Kunstverein Münster nunmehr keinem Zensurverdacht aussetzen wollen. Daß sich niemand gegen diese „aggressive Handlung“ (Snauwaert) seitens der Künstler/Auto-Industrie durchgesetzt hat und zudem unter ähnlichen Kompromißbedingungen für das nächste Jahr ein Projekt mit Siemens geplant wird, darin liegt auch ein Versagen der öffentlichen Institutionen.

Die Hälfte des Ausstellungsetats stellt Siemens, den Rest teilen sich die drei Institutionen sowie die Stadt München, der Kunstfonds e.V. und Debitel auf. Zudem kontrolliert die Konzernabteilung auch die Öffentlichkeitsarbeit. Der Murks mit dem Sponsoringmodell à la Siemens ist allerdings im Programm angelegt, wenn vom Konzern angestellte Ausstellungsmacher mit sprunghaften Konzeptideen in entsprechende Kunstinstitutionen einwandern.

In Zeiten staatlicher Kürzungen bleibt den öffentlichen Gastgebern kaum mehr übrig, als das Beste herauszuholen oder das Schlimmste zu verhindern. Gerade der letztjährige Zensurfall von Münster, bei der im Rahmen „Kritischer Malerei“ auch eine Collage des mit Plastikhandschellen gefesselten „Herrn von Siemens“ mit dem Kontoauszug des Ausstellungshonorars (1.000 Mark) versehen war, zeigt jedoch, daß die scheinbare Lässigkeit von Siemens schnell ihr Ende findet. Der seit jeher staatsnahe Konzern mit über 200.000 Beschäftigten alleine in der Bundesrepublik spielt sich dabei als eine Art „privates Bundeskultusministerium“ (Kunstforum International) auf.

Wie dringt man nun zum eigentlichen Ausstellungsprojekt vor, das sich vor lauter Kontext kaum herausschälen läßt? „Dream City“ gibt Anlaß zur Diskussion auch, weil es sich die Kritik willfährig ins Haus zu laden scheint. Das führt zu Absurditäten, daß beispielsweise ein Vortrag von Jost Müller über die Erfindung der weißen Rasse zum Auftakt des „kein mensch ist illegal“-Treffens wie auch der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ bezahlt wurde. Wo sind die Grenzen, um mit Siemens Deals einzugehen?

Der Ausstellungstitel, der einer Tourismusbroschüre entstammt, bezieht sich dort auf ein „ziemlich kleines Areal, das das Fremd-Image von München weitgehend bestimmt: den zu Fuß erreichbaren Raum des Städtetourismus“. Dem soll ein anderes München gegenübergestellt werden, etwa durch ein weitgezogenes Areal der Außenprojekte (von Tim Rollins Malaktion in einer Hauptschule beim Schlachthausviertel über Dan Petermans Kompostanlage in einer Gärtnerei oder Michaela Meliáns in Zusammenarbeit mit „kein mensch ist illegal“ erstellte Festung-Europa-Hüpfburgen an diversen Plätzen). Pia Lanzinger moderiert mit „Die Stadt und ihr Geschlecht“ eine Busfahrt, die bis hin zu der als „asozial“ stigmatisierten „Hasenberg“-Siedlung führt. Und wieder gibt es Distanzierungsbewegungen: Angesichts der Privatisierung, Exklusion und Festivalisierung des öffentlich genannten Raums durchzieht die Ausstellung zugleich ein Unbehagen gegenüber der „Korporatisierung des öffentlichen Raumes“, wie Stefan Römer in seinen Katalog- wie Kunstbeiträgen ausführt.

Geradezu traumwandlerisch verketten sich die Exponate in der Villa Stuck zur Geschichte von Glamour und verschwenderischer Ekstase. Auf dem Podest von Felix Gonzales-Torres bewegt sich ein Go-go-Tänzer mit Walkman. Doch meistens steht das Podest des 1991 gestorben Künstlers leer. Eine Etage höher widmet AA Bronson seinem verstorbenen Freund ein körnig aufgeblasenes Foto: „Felix, June 5, 1994“ zeigt ihn mit weit offenen Augen und einer am Schädel gestrafften Gesichtshaut. Zur Traumstadt, so AA Bronson, gehören auch die Verstorbenen. Bett und Totenhemd sind psychedelisch gehalten, auf der Decke liegt noch die Fernbedienung. Aus dem Nebenraum tönt auf- und abschwellend Serge Gainsbourghs Liebeshymne „Je t'aime“ herüber, allerdings in der raren Version mit Brigitte Bardot statt Jane Birkin. „Ein schönes Zimmer“ von Ayse Erkmen zeigt das Crazy Munich der 60er Jahre, als Playboy Gunter Sachs mit BB Public Life und Glamour zu verbinden wußte: „Pop ist sein ganzes Reich“.

Neben Beuys wird im Editiorial der Londoner Künstler Gustav Metzger als dessen historischer Antipode für „Positionen gesellschaftsbezogener Kunstpraktiken“ herangezogen. Für den erschütternden Beitrag „Travertin/Judenpech“ ließ Metzger 60 qm Asphalt auf den Säulengang des Hauses der Kunst schütten – dort wo zur Eröffnung im Sommer 1937 die Soldatenreihen des Nationalsozialismus fest geschlossen standen. Im gleichen Jahr floh Metzger als rassisch Verfolgter aus Nürnberg/Deutschland. Sein „Leben im Widerstand“ (Siemens-Kurator Dirk Luckow) kannte keinen Marsch durch die Institutionen, denn politische Arbeit formte sich bei ihm im Unterschied zu Beuys und dessen Parteigründungen nicht als künstlerisches Material aus. Im Kunstverein verweist eine weitere Arbeit auf die Geschichte nazistischer Demütigungen. „Historic Photographs: To Crawl Into/To Walk Onto Anschluß Vienna, 15 March 1938“ heißt das auf dem Boden liegende Foto von Wiener JüdInnen, die politische Pflastergraffiti vom Boden wegwischen mußten. Metzger hat es mit scharfkantigem Maschendraht und einem Tuch überdeckt.

„1943 bestand über 30 Prozent der Belegschaft aus FremdarbeiterInnen, Kriegsgefangenen, jüdischen ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen, schätzungsweise 50.000 Personen. ... Daß die Siemens AG nach über 50 Jahren Bereitschaft zeigt, auf die Entschädigungsforderungen überlebender ZwangsarbeiterInnen einzugehen, hängt nicht zuletzt mit dem für das Jahr 2001 geplanten Börsengang in den USA zusammen.“ So lautet der Schriftzug auf einem vorgesehenen Katalogfoto des Vorstandsmobiliars aus der Berliner Siemenststadt, das Annette Weiser und Ingo Vetter nach München transferieren wollten, um somit an die hier entschiedene Zwangsarbeit konkret anknüpfen: Verlagert ist nicht vergessen.

In einem Interview, nach ihrer Absage der Teilnahme an „Dream City“ in der Jungle World abgedruckt, kam es zu einem Streitgespräch mit dem Leiter der Konzernkommunikation, Eberhard Posner. Dort beharrt der zugleich für Entschädigungsfragen zuständige Posner zwar auf „freiwilliger humanitärer Hilfe“, akzeptiert aber nicht den Rechtsanspruch auf Entschädigung. Deshalb will er bis hin zum „Recht auf Gegendarstellung“ im Katalog nicht den Anschein von Schuldeingeständnis zulassen. Dieser direkte Zugriff des Konzerns auf einen Kunstkatalog, der zusammen mit öffentlichen Stellen erarbeitet wurde, stellt die Machtverhältnisse klar. Das KünstlerInnenduo hat deshalb die Kooperation zurückgezogen. Dream City, bis 20. 6., München. Der Katalog kostet 38 Mark, der Reader „never give up!“ von Yvonne Doderer 16 Mark.

Die Bereitschaft zu Entschädigungen hängt mit dem Börsengang zusammen