Ein kleines Weltkriegssample

Pfingsten. Gotik-Treffen in Leipzig. Die Szene der Grufties wird von Rechtsradikalen unterwandert, doch das will dort niemand so recht wahrhaben. Ein Konzertbesuch  ■ Von Kolja Mensing

Aus den Boxen verzerrte Elektrobeats. Etwa fünfzig Fans toben in der alten Industriehalle „Werk II“ zu dem krachenden Soundgewitter, und wenn die Musiker auf der Bühne ihre Maschinen lauter drehen, recken die Fans die geballten Fäuste in die Luft. Gesungen wird hier nicht, aber ab und zu wird ein Sample aus irgendeinem unbekannten Film eingeschoben. „Ich bin der Herr der Finsternis ...“, sagt eine Stimme, und die Fans freuen sich darüber.

Kurz vor Ende des Auftritts dann noch ein Sample, das allerdings ist bekannt: „Polen hat heute nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen.“ Das ist kein Film, das ist Adolf Hitler, der den Angriff auf Polen verkündet: „Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen.“ Die Fans freuen sich auch darüber.

Dann wird weitergetobt. Die Band heißt „Feindflug“, kommt aus Chemnitz und spielt auf dem 8. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig. 80 Bands waren eingeladen, von ganz laut bis ganz leise, und zwischen 15.000 bis 20.000 Grufties wurden für das Pfingstwochenende in der Stadt erwartet.

Großfamilientreffen der „schwarzen Szene“.

Und wie bei jedem Familientreffen geht es bei der Anreise bunt zu. Das heißt hier schwarzweiß. Vor dem Hauptbahnhof flattern zwischen den gelben Leipziger Straßenbahnen den ganzen Tag kleine Vampire und weißgeschminkte Fledermäuse. Das sieht lustig aus, Adolf Hitler würde man hier nicht vermuten: Man begrüßt Freunde, tauscht Handynummern und bestaunt Outfits. Dann steigt man zusammen in eine Straßenbahn, zwinkert den ganz schön farbenfroh gekleideten Leipzigern aus einer süßlichen Puderwolke heraus freundlich zu und freut sich, daß man sich die Stadt ausleihen darf. Für ein Wochenende ist man in der Mehrzahl.

Wahrscheinlich wäre der kleine Weltkriegssample während der „Industrial“-Nacht in der alten Industriehalle auch gar nicht weiter aufgefallen, wenn die Medien nicht gerade das Thema „rechtsradikale Grufties“ entdeckt hätten – nachdem im Anschluß an das Massaker in Littleton der Verdacht laut geworden war, die Attentäter seien rechtsradikal und gehörten zur US-amerikanischen Gothic-Szene. Medienhysterie hin oder her: Jetzt konnte man überall nachlesen, was in kleineren sozialwissenschaftlichen Publikationen, in Antifa-Broschüren und im Internet schon seit längerem verhandelt wird – daß etwa die italienische Band „Kirlian Camera“, die auch für Leipzig angekündigt war, sich bei einem Konzert in Berlin vor einem Jahr mit dem Hitlergruß von der Bühne verabschiedet hatte oder daß das Dresdner Fanzines Sigill eng mit der rechtsradikalen Szene verbunden ist.

DJ Kersten will nur unter seinem Künstlernamen genannt werden. Zusammen mit anderen Gothics hat er vor einem Jahr in Bremen die Initiative „Grufties gegen Rechts“ gegründet, auch wenn er betont: „Rechte Grufties sind innerhalb der Szene immer noch eine Minderheit.“ Wehret den Anfängen: Den Machern vom Wave-Gotik-Treffen hatte man in einem Brief vorab die Bedenken zu bestimmten Acts mitgeteilt. „Feindflug zum Beispiel kommen aus dem Umfeld der Zeitschrift Sigill, und sie lassen sich von einem Versand vertreiben, der auch eindeutig rechtsradikale Bücher vertreibt“, erklärt DJ Kersten. Der Verlag heißt VAWS, „Verlag und Agentur Werner Symanek“, und bekam genauso wie Sigill von der Festivalleitung keine Erlaubnis für einen Stand. Die angekündigten Bands aber spielen alle. „Wenn eine Band sich von der rechten Szene distanziert, war das für uns kein Grund mehr, sie nicht auftreten zu lassen“, sagt Nancy Schumann, Pressesprecherin der Wave-Gotik-Veranstaltungs-GmbH und faxt auf Anfrage entsprechende Statements der Musiker.

Die Erklärung von „Feindflug“ ist vorsichtshalber noch einmal am Eingang von Werk II an eine Tür gepinnt: „Jede Form der Verherrlichung/Verharmlosung des Zweiten Weltkriegs widerspricht der Intention dieses Projektes.“ Gerald Synnatschke verlegt „Feindflug“ auf seinem kleinen Chemnitzer Label „Black Rain“. Er gibt zu, daß man einen Adolf-Hitler-Sample leicht mißverstehen könne. „Die Sache wird natürlich mit Absicht offengelassen“, erklärt er, nachdem „Feindflug“ gespielt hat, findet aber, das wichtigste Stichwort in diesem Zusammenhang sei „Denkanstoß“: „Die Leute sollen durch die Musik von Feindflug zum Nachdenken angeregt werden. Es geht bestimmt nicht darum, rechte Ideologie zu verbreiten“, sagt er. Irgendwie glaubt man ihm das auch. Den tobenden Fans vor der Bühne hatte man den „Denkanstoß“ allerdings nicht direkt angesehen.

In der Halle I auf dem alten Leipziger Messegelände. Hier gibt es Gruftie-Accessoires zu kaufen: schwarze Umhänge und glänzende Lackbodies, Silberschmuck, CDs und Tarotkarten. Ein junger Mann mit langen blonden Haaren und grauer Leinenweste – er fällt auf zwischen den ganzen Grufties – ist genervt, als er auf die Bücher angesprochen wird, die auf dem Tisch vor ihm liegen: „Ja, okay, ich verkaufe hier auch Bücher aus dem Grabert-Verlag. Der ist offen rechts, aber das ist mir wurst. Ich bin gegen jede Art von Zensur“, legt er los, obwohl er eigentlich überhaupt keine Lust hat, mit der „linksintellektuellen Presse“ zu reden. Seinen Namen will auch er nicht verraten, wie fast jeder, mit dem man in Leipzig über rechte Tendenzen reden will: „Du kannst mich Andi aus Sachsen nennen. Andi mit i.“ Er wird noch häufiger nach den Büchern auf seinem Tisch gefragt: Während die Reporter vor einigen Jahren am liebsten irgendwelchen Satanismus-Gerüchten hinterherjagten, sucht man jetzt in Leipzig nach Runen und völkischer Ideologie.

Kanne ist ein echter Gruftie. Die Journalisten stören ihn nicht. Er ist aus Münster angereist, ist 21 Jahre alt, lernt Landschaftsgärtner und hat einen doppelten Irokesenschnitt. Natürlich in Schwarz. Kanne ist nach Leipzig gefahren, um Spaß zu haben, und Kanne findet, daß die Szene selbst schuld sei, daß sie in Verruf gekommen ist: „Man hat sich halt nie so richtig gewehrt gegen Rechte.“ Ein Gruftie zu sein habe eben zunächst einmal nichts mit einer politischen Ausrichtung zu tun, erklärt Kanne – er selbst, verkündet er stolz, sei allerdings links und würde auch mal einen Pflasterstein in die Hand nehmen, „wenn's drauf ankommt“.

Kanne hätte nichts dagegen, wenn die Szene etwas mehr politisches Bewußtsein entwickeln würde. Die meisten Grufties in Leipzig sehen das anders. Man möchte lieber „unpolitisch“ bleiben, was immer das auch heißt. Trotzdem hatte die Zillo, die auflagenstärkste Zeitschrift der Szene, in Absprache mit den Veranstaltern für das Wave-Gotik-Treffen eine Podiumsdiskussion angekündigt. Einer der Punkte: „Die braune Flut“. Der einstige Neue-Deutsche-Welle-Star Joachim Witt sollte zusammen mit einem Vertreter des „Rammstein“-Managements die sogenannte „neue deutsche Härte“ vertreten und die Rolle der bösen Onkel übernehmen: Joachim Witt und der Band Rammstein werden wegen ihres martialischen Auftretens und der Leni-Riefenstahl-Zitate in ihren Videos Nähe zu faschistischer Ästhethik nachgesagt. Zusammen mit den „Grufties gegen Rechts“ und dem Duisburger Sozialwissenschaftler Alfred Schobert, der sich schon seit Jahren mit der Unterwanderung der Gruftieszene durch Rechtsextremisten beschäftigt, sollten sie in Leipzig über die rechten Tendenzen bei Bands und Fans diskutieren.

Daraus wurde nichts. Zillo hatte zusätzlich noch den Musiker Josef Klumb eingeladen. Sozialwissenschaftler Schobert und die „Grufties gegen Rechts“ wollten sich mit ihm nicht an einen Tisch setzten: Klumb sei ganz offensichtlich ein Nazi, allerdings hätte er dankbarerweise seit seinem Rauswurf als Sänger der Formation „Weißglut“ kaum noch Öffentlichkeit. Warum ihn also jetzt wieder auf einem Podium präsentieren?

Die „braune Flut“ war in Leipzig offiziell kein Thema mehr. Und inoffiziell auch nicht: Die Leipziger Antifa hatte zwar Proteste gegen die Auftritte von „Feindflug“ angekündigt, aber dann wurden noch nicht einmal Flugblätter verteilt. Auch beim Auftritt von „Kirlian Camera“ auf der idyllischen Parkbühne blieb es ruhig, und die Band verabschiedete sich auch nicht mit dem Hitlergruß, sondern einfach nur mit einem freundlichen Winken: Für einen Moment hatte man das Gefühl, die ganze Diskussion über den Rechtsdrall der Grufties hätte mit der Festivalwirklichkeit in Leipzig nichts zu tun, und den Hitler-Sample vom Abend vorher hatte man schon fast wieder vergessen.

Wenn nicht „Andi mit i“ auch bei „Kirlian Camera“ aufgetaucht wäre. Er ist jetzt weitaus zutraulicher als noch hinter seinem Bücherstand und scheint nichts dabei zu finden, den Reporter auf ein paar Skindheads hinzuweisen, die sich unter die Grufties gemischt haben: „Hier hast du ja gleich ein paar mehr von den Leuten, nach denen du gesucht hast“, sagt er und grinst. Dann beginnt er zu dozieren. „Andi mit i“ ist ganz offensichtlich stolz auf seine Insider-Kenntnisse: „Hier gibt es auch jede Menge Leute, die österreichische Uniformjacken tragen, was ja bekanntlich an die SS erinnern soll.“ Und je länger man sich umschaut, desto mehr Leute entdeckt man, die überhaupt nicht wie Grufties aussehen, sondern in „Lonsdale“-T-Shirts und DocMartins herumlaufen.

Die schwarzgewandeten Fans mit ihren tollen Frisuren scheint das nicht weiter zu stören, und wenn man sich genauer nach der Band oder den militant gestylten Gastfans erkundigt, wird man mißtrauisch beäugt oder böse angezischt. Die Auseinandersetzung darüber, wer außer ihnen ihre Musik hört und zu ihren Konzerten kommt, überlassen die Grufties lieber Sozialwissenschaftlern und den „Andis mit i“.