■ Die Gesundheitsreform kann der erste rot-grüne Erfolg werden
: Schmerzhaft, aber notwendig

Der Kanzler kann seiner grünen Lieblingsministerin Andrea Fischer dankbar sein. Bislang gibt die rot-grüne Regierung ein chaotisches Bild ab. Sämtliche Reformprojekte drohen zerredet zu werden (Steuerreform), mußten nachgebessert werden (630-Mark-Jobs) oder gerieten zum faulen Kompromiß (doppelte Staatsbürgerschaft). Schröder gilt inzwischen als einer, den jeder Gegenwind umpustet.

Jetzt steht der nächste Kraftakt an. Gesundheitsministerin Fischer stellt heute den rot-grünen Entwurf zur Gesundheitsreform vor. Diese Reform ist richtig und überfällig. Sie hat gute Chancen, im Bundesrat durchzukommen und tatsächlich am 1. Januar 2000 in Kraft zu treten. Natürlich ist es sinnvoll, die Ausgaben im Gesundheitsbereich zu begrenzen. Dies will der Gesetzentwurf auf zwei Wegen erreichen: durch Strukturreformen, die Milliarden einsparen sollen. Und durch eine jährliche Ausgaben-Obergrenze für das ganze Gesundheitswesen.

Kein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung muß befürchten, daß es in Zukunft notwendige Behandlungen und Medikamente nicht mehr bekommt. Es ist reine Demagogie, wenn Ärztechef Karsten Vilmar behauptet, die Versorgung an Krankenhäusern und in den Arztpraxen würde nun zusammenbrechen. Sein wiederholter Vorwurf, die Reform fördere das „sozialverträgliche Frühableben“ der Patienten, ist infame Panikmache.

Der Entwurf, auf den sich Rot-Grün geeinigt hat, sieht eine engere Verknüpfung von ambulanten und stationären Behandlungen vor. Auch soll es in Zukunft feste Preise für bestimmte Behandlungen geben (zum Beispiel für eine Blinddarmoperation) – unabhängig davon, wie lange der Krankenhausaufenthalt dauert. Beides ist längst überfällig, denn jeder weiß, wie gerne die meisten Kliniken ihre Patienten tagelang behalten. Durch unnötig lange Klinikaufenthalte und sinnlose Doppeluntersuchungen werden jedes Jahr Milliarden verschwendet. Sogar die Deutsche Röntgengesellschaft gibt zu, daß etwa 30 Prozent aller Röntgenaufnahmen überflüssig sind. Der Einkauf teurer Großgeräte muß sich rechnen, deshalb werden die Apparate so oft wie möglich eingesetzt. Dieser Mißbrauch wird in Zukunft dank Frau Fischer weniger werden.

Vernünftig ist auch der Plan, die Rolle der Hausärzte zu stärken. Unser Gesundheitssystem ist inzwischen so kompliziert geworden, daß es sinnvoll ist, dem Hausarzt die Aufgabe des kompetenten Lotsen zu übertragen. Er kann den Weg zum richtigen Spezialisten weisen. Im Rahmen eines Modellversuches dürfen die Krankenkassen ihren Mitgliedern einen finanziellen Anreiz bieten, wenn sie erst zum Allgemeinmediziner gehen und nicht gleich zum Spezialisten. Da niemand weiß, ob sich so tatsächlich Geld einsparen läßt, ist es sinnvoll, erst einmal einen Modellversuch zu starten. Sollte sich herausstellen, daß das Ganze nichts bringt, kann es wieder abgeblasen werden, ohne daß das Gesetz verändert werden muß.

Auch die Bereiche, in denen in Zukunft mehr Geld ausgegeben wird, sind richtig gewählt. Die Gesundheitsvorsorge wird verbessert, die Patienten bekommen mehr Rechte (zum Beispiel um Ansprüche aufgrund von Behandlungsfehlern durchsetzen zu können), und sie werden besser beraten. Leider verpflichtet das Gesetz die Kassen nicht, Selbsthilfegruppen (zum Beispiel von Krebspatienten oder HIV-Infizierten) zu unterstützen – es bleibt den Kassen überlassen, ob sie dafür Geld ausgeben wollen.

Kernstück der Reform sind die Neuerungen bei der Krankenhausfinanzierung. Es ist sinnvoll, die Finanzierung von den Ländern auf die Krankenkassen zu übertragen. Die Kassen können in Zukunft unwirtschaftlichen Kliniken die Verträge verweigern. Die Reform wird dazu führen, daß dort, wo es eine Überversorgung gibt, Krankenhäuser oder einzelne Abteilungen geschlossen werden.

Ein harter Schritt für die rot-grüne Regierung. Aber es geht nicht anders, wenn das System der solidarischen Krankenversicherung aufrechterhalten und die Beiträge stabil bleiben sollen. Diese Reform darf auf keinen Fall (wie schon so viele Gesundheitsreformen zuvor) der geballten Lobby aus Ärzte-, Pharma- und Krankenhausvertretern zum Opfer fallen. Sie könnte die erste erfolgreiche Reform dieser rot-grünen Regierung werden. Tina Stadlmayer