UN alarmiert: Frauen im Kosovo in höchster Gefahr

■  Systematische Vergewaltigungen: Vereinte Nationen legen erste Untersuchung über das Schicksal von Frauen vor. Schulungen für Betreuerinnen geplant

New York/Berlin (dpa/taz) – Als „alarmierend“ bezeichnet ein UN-Bericht Aussagen kosovo-albanischer Flüchtlingsfrauen über Vergewaltigungen im Kosovo. Der Bericht spricht von Beweisen, die „so schwerwiegend“ seien, daß für das Schicksal der im Kosovo verbliebenen Frauen das Schlimmste befürchtet werden müsse. Junge Mädchen und Frauen würden in Dörfern und Kleinstädten zusammengetrieben und mit Lastwagen deportiert. Sie würden in Soldatenunterkünfte gesperrt und dort gefoltert. Ganze Gruppen von Soldaten, meistens maskiert, würden sie vergewaltigen. Manche Frauen würden bis zu mehreren Tagen dort festgehalten. „Freigelassene Frauen hatten Fleischwunden an der Brust, Spuren von Schlägen an Armen und Beinen und Verbrennungen“, heißt es in dem Bericht. Die Soldaten drohten den Frauen, daß sie bei lebendigem Leibe verbrannt würden, falls sie Widerstand leisteten.

Es ist die erste offizielle Untersuchung der Vereinten Nationen, mit der schon seit längerem bekannt gewordenen Berichten über sexuelle Gewalt im Kosovo nachgegangen wird. Erstellt wurde die Studie für das UN-Bevölkerungsprogramm (UNFPA) von der Psychologin Dominique Serrano, einer Expertin für sexuelle Gewalt und Traumata. Sie befragte Anfang Mai 35 Kosovarinnen und medizinische Helfer in albanischen Flüchtlingslagern. Berichte über kollektive Vergewaltigungen habe die Psychologin unter anderem aus den Orten Gjakova, Pec und Drenica erhalten.

Danach würden auch bei Straßenkontrollen serbische Soldaten und Milizionäre Frauen vergewaltigen, nachdem sie ihnen Bargeld und Schmuck abgenommen hätten. Die UN-Studie erhärtet den in Berichten der Nato und der OSZE geäußerten Verdacht auf „systematische“ Vergewaltigungen im Kosovo. Auch verschiedene NGOs (regierungsunabhängige Organisationen) und Journalisten haben bereits seit Mitte April auf eine Vielzahl von Vergewaltigungen hingewiesen. Laut der Frauenhilfsorganisation Medica Mondiale und amnesty international sei es aber schwierig, Zahlen zu nennen, weil viele der Frauen nicht über Vergewaltigungen redeten.

Die Psychologin der UNFPA macht für das Schweigen der Kosovarinnen den Mangel an Personal verantwortlich: „Die Frauen wollen dringend reden, doch es gibt keine geeigneten Personen, mit denen sie sprechen können“, schreibt sie. Die Opfer würden sich nicht melden, weil sie nur mit einer Frau und nur unter vier Augen reden wollten. Unabdingbar sei, daß ihnen Anonymität zugesichert werde, heißt es in dem Bericht. In einem Lager in Tirana habe beispielsweise ein männlicher Helfer per Lautsprecher nach vergewaltigten Frauen gesucht – vergeblich.

Vor allem vor den Ehemännern und Familien müßten die Frauen die Vergewaltigung geheimhalten. In der kosovo-albanischen Gesellschaft gelte eine vergewaltigte Frau als „tot“: Oft würde sie von ihrer Familie verstoßen und vom Mann verlassen. Auch das medizinische Personal in den Flüchtlingslagern soll laut dem Bericht zögern, die Vergewaltigungen anzusprechen. Die Psychologin schreibt, sie habe mit Ärzten gesprochen, die ihren Krankenschwestern den Mund verboten hätten, als diese über Fälle von Vergewaltigung sprechen wollten.

Deshalb, so Serrano, sei es dringend notwendig, speziell ausgebildete Helferinnen in die Flüchtlingscamps zu senden, um die traumatisierten Frauen zu unterstützen. Auch müßten die Familien in die Arbeit einbezogen werden, um Scham- und Rachegefühle aufzufangen. Das Programm wird gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk, Unicef und NGOs Trainingsprogramme für medizinisches Personal in Albanien organisiert, um die Frauen betreuen zu können. Einzelne NGOs wie Medica Mondiale haben bereits angefangen, albanische Psychologinnen auszubilden. Heide Oestreich