Große machen große Fehler

■ Vor der Senatskulturverwaltung protestiert Atze heute gegen die Benachteiligung von Kindertheatern – mit etwa dreitausend Kindern

Atze hat 'ne Glatze, einen kleinen Bauch hat er auch und jede Menge Frust zur Zeit. Doch wenn er die Bühne betritt, dann fällt all die Bitterkeit dieser Tage von ihm ab. Dann ist Thomas Sutter nur noch Atze. Was zählt, ist einzig und allein sein Publikum, vier- bis zehnjährige Knirpse, denen er weit über die Vorstellung hinaus die Langeweile vertreibt. „Habt ihr auch manchmal Streit mit euren Eltern“, fragt er seine begeistert johlenden kleinen Fans, und dann singt er das Lied von den „Großen Menschen, große Fehler, kleine Menschen, kleine Fehler“, die die Großen so furchtbar schlimm finden. Oder er lacht sich zusammen mit den Kindern kaputt über den Vampir mit dem abgebrochenen Zahn.

Ob Atze nur mit seiner Gitarre oder mit seiner ganzen Band auf der Bühne steht, im „Zauberkoffer“ durch das Stück berlinert oder zusammen mit seinem Ensemble in „Steffi und der Schneemann“ die Geschichte der allerersten Liebe erzählt – die Kinder hält es nicht auf ihren Stühlen, und bei Stücken wie „Sich versöhnen, sich versöhnen, und vor Glück dann nur noch stöhnen“ wippen sogar die Eltern mit. „Ob groß oder klein, irgendwann ist man einfach atze-infiziert“, erzählt die Mutter eines siebenjährigen Atze-Fans, und die Grundschullehrerin Margit Schubert meint: „Es gibt kein anderes Theater, das die Kinder so begeistert.“

50.000 kleine und große Zuschauer hatte das zwanzigköpfige Ensemble in der letzten Saison, elf Produktionen von kleinen Bühnenshows bis hin zu professionellen Kindermusicals sind im Programm, aber: „Es ist ein Unterschied, ob man Theater macht oder Musikstücke aneinanderklebt“, meint Claudia Henne, Sprecherin der von der Kulturverwaltung eingesetzten Jury, die über die Verteilung der Fördermittel für freie Gruppen entscheidet. Und weil Atze zwar populär ist, in den Augen der Jury aber keine künstlerische Arbeit zu bieten hat, hat die Jury empfohlen, Atze in diesem Jahr nicht mehr zu fördern. „Der Schwung ist dahin“, meint auch Kultursenator Peter Radunski, der Atze noch nie gesehen hat.

Der Schwung von über 3.000 Postkarten unter dem Motto „Atze soll leben“, der in den letzten Wochen die Kulturverwaltung erreicht hat, lassen den Senator ebenso kalt wie die Stimmen der Opposition. „Wenn die Millionen, die den Berliner Kammerspielen als Kinder- und Jugendtheater gekürzt wurden, in diesem Bereich geblieben wäre“, meint Klaus Dehn, der für die Grünen im Kulturausschuß sitzt, „dann wäre auch Atze weiter gefördert worden.“ Das Geld aber floß dem Erwachsenentheater zu, im Kinder- und Jugendbereich können mit insgesamt sechzehn Millionen Mark nur das Grips- und das carroussel-Theater überleben. Unter den freien Gruppen ist das Jugendtheater Strahl mit 300.000 Mark im Jahr das am höchsten geförderte Projekt. Ein Witz, verglichen mit Theatern für Erwachsene, findet der Leiter von Strahl, Wolfgang Stüße.

„Sie haben eben keine Liebe für dieses Genre“, meint Thomas Sutter von Atze, „da muß man schon auch mit dem Herzen dabei sein.“ Die 65.000 Mark, mit der die Truppe bislang gefördert wurde, reichten weder für einen professionellen Regisseur noch für eine eigene Spielstätte: „Die Theater, die wir bräuchten, sind fest in Erwachsenenhand. Und manchmal dürfen wir dort spielen, auf der Bettritze, wenn die Erwachsenen so gnädig sind, uns dort spielen zu lassen.“

Ganz ohne Fördermittel aber muß Atze den Spielbetrieb einstellen. Und deshalb wird er heute dem Senator persönlich aufspielen: Lieder aus dreizehn Jahren, Open air und kostenlos vor der Kulturverwaltung. Rund 3.000 Kinder werden ihn dabei voraussichtlich unterstützen. Martina Habersetzer

„Atze soll leben“ , heute von 10.30 bis 12 Uhr in der Brunnenstraße 188 – 190