Verletzter Polterer tut weiter seinen Dienst

■ SPD-Sozialprofi Dreßler wurde übergangen. Für die Gesundheitsreform schuftet er trotzdem

Berlin (taz) – „Es trifft ihn, wenn sie ihn immer 'Betonsozi‘ nennen“, sagt einer seiner Vertrauten. Tatsächlich? Rudolf Dreßler, der Polterer? Kann er verletzt sein? Der 58jährige will gar nicht den unverbesserlichen Traditionalisten geben. Der SPDler sieht sich als Retter der Solidarprinzips.

Gestern wäre sein Tag gewesen. Statt dessen stellte die grüne Ministerin Andrea Fischer die Gesundheitsreform vor. Dreßler hat das Seine dazu beigetragen. Das Kernstück der Reform etwa, die neue Krankenhausfinanzierung, trägt seine Handschrift.

Der unumstrittene Star der Sozialpolitiker machte der Gesundheitsministerin von Anfang an das Leben schwer. Er war gekränkt, daß der Kanzler nicht ihn für diesen Posten nominiert hatte. Schlimmer noch: Den Zuschlag erhielt eine junge Grüne, die bis zu diesem Zeitpunkt mit Gesundheitspolitik nichts zu tun hatte.

Das Verhältnis zwischen Fischer und Dreßler ist gespannt. Zum Vergnügen der Journalisten liefern sie sich offene Scharmützel. Dreßler blamierte die Ministerin, anstatt ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Eine „unvertäute Schiffskanone“, die „übers Deck der Gesundheitspolitik rumpelt“, nannte ihn deswegen ein Kommentator. Dabei sind die beiden in nichts weit auseinander. Auch Fischer will die solidarische Krankenversicherung retten.

Inzwischen ist die Kanone wieder vertäut. Dreßler hat seinen Verdienst an der Reform: Er hat es geschafft, die Gesundheitsminister der SPD-regierten Länder einzubinden. Nur so hat der Gesetzentwurf eine Chance, im Bundesrat durchzukommen. Und der Polterer wendet sich wieder seinem Lieblingsfeind zu. Karsten Vilmar, dem Präsidenten der Bundesärztekammer, wirft er vor, „für einen Ärztepräsidenten unwürdig“ zu reden. Der Ärztechef hatte Rot-Grün ein „Humanexperiment“ vorgeworfen.

Der „Sozialstaat“ und das „Solidarprinzip“ begleiten ihn seit seiner Geburt. Vater und Großvater waren fest in der Sozialdemokratie verwurzelt. Auf seinen Stallgeruch angesprochen, reagiert er empfindlich: „Soll ich mich dafür schämen oder was?“ 1969 trat er, 28jährig, der SPD seines Geburtsortes Wuppertal bei. Im gleichen Jahr trat der Schriftsetzer an die Spitze des Betriebsrates der Westdeutschen Zeitung. In der SPD machte er schnell Karriere. 1980 gewann er den Wahlkreis Wuppertal. Seit zwölf Jahren ist er einer der Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion.

Im November 1997 hatte der Politiker einen schweren Autounfall. Monatelang lag er mit Knochenbrüchen und inneren Verletzungen im Krankenhaus. Von den Folgen hat er sich nicht ganz erholt. Er kann seinen linken Arm nicht richtig bewegen. Aber das Wickeln seines dreijährigen Sohnes Tim erledigt er mit einer Hand.

Dreßler redet nicht gerne über sein Privatleben. Es ärgerte ihn, wie die Boulevardpresse über seine beiden Scheidungen und über seine Beziehung zu der deutlich jüngeren Journalistin Doris Müller berichtete. Viel lieber spricht er über seine politischen Verdienste. Er rühmt sich selbst, „von 1982 bis heute“ mehr ins Gesetzblatt gebracht zu haben „als die Hälfte der Minister des Kabinetts Kohl“. Mit Arbeitsminister Blüm (CDU) boxte er die Rentenreform durch, ein „Jahrhundertwerk“; mit Gesundheitsminister Seehofer (CSU) dekkelte er 1992 die Gesundheitskosten – nicht, ohne sich mit ihnen Redeschlachten zu liefern.

Kein Wunder, daß er sich über die Grüne auf „seinem“ Ministersessel ärgert. Tina Stadlmayer