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Ehud Barak hält sich alle Optionen offen

■ Israels Parteien buhlen um Anteil an der Macht. Der Widerstand gegen Schas steigt

Jerusalem (taz) – Bei den israelischen Koalitionsverhandlungen wächst der Druck auf den künftigen Ministerpräsidenten Ehud Barak, die orthodoxe Schas-Partei nicht in die Regierung einzubeziehen. Die Schas-Delegation wurde bei ihrer Ankunft im Dan-Akadia Hotel in Herzlia nördlich von Tel Aviv – wo Barak sein Büro eingericht hat, bis die Verhandlungen in die Knesset verlegt werden – von Demonstranten empfangen. „Nur nicht Schas“ und: „Rechtsstaat oder Schas“ stand auf ihren Plakaten. Während die linke Meretz Partei und die anti-orthodoxe Partei Schinui von Beginn an ein Zusammengehen mit der Schas ablehnten, äußern sich nun zunehmend auch Mitglieder von Baraks Liste „Ein Israel“ und sogar der Likud skeptisch über eine mögliche Koalition mit den Orthodoxen.

Die orthodoxe Partei weigert sich bislang, den Vorsitzenden Arye Deri abzulösen. Er muß, wenn sein Revisionsantrag abgelehnt wird, wegen Korruption und Veruntreuung in Kürze eine vierjährige Haftstrafe antreten. Der Schuldspruch gegen ihn ist zentrales Argument der Schas-Gegner. Beobachter vermuten, daß die Partei letztlich doch bereit sein wird, ihren Vorsitzenden zu entlassen, wenn das der Preis für den Koalitionsbeitritt ist.

Baraks 45-Tage-Frist für die Bildung einer Regierung hat gestern begonnen. Erst nach den Treffen mit Meretz, der Zentrumspartei und Schinui – die drei Listen hatten Baraks Kandidatur unterstützt – und den drei arabischen Parteien, kamen die Delegationen des Likud, der Schas und gestern der National-Religiösen Partei an die Reihe. Nach den Gesprächen zeigten sich die Likud-Delegierten befriedigt, daß sie in der zweiten Verhandlungsrunde nächste Woche vor allen anderen eingeladen werden sollen.

Für Chaim Oron von Meretz indizierte Baraks erste Einladung an das Linksbündnis, daß „er eine Fortsetzung der jahrelangen Kooperation zwischen der Arbeitspartei und der Meretz will“. Oron brachte ein zweiseitiges Papier mit Vorschlägen für die künftigen Regierungsgrundsätze zu dem Treffen. Meretz fordert demnach die sofortige Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen mit Syrien, dort, wo sie vor drei Jahren eingestellt wurden, die sofortige Einstellung des Baubetriebs in den jüdischen Siedlungen sowie gesetzliche Regelungen für zivile Eheschließungen und Militärdienst für orthodoxe Männer. Auffallend ähnlich sind die Mitteilungen der verschiedenen Delegierten vor der Presse. „Wir sind sehr begehrte Partner“, heißt es nahezu unisono.

Während Außenminister Ariel Scharon, der nach dem Rücktritt von Benjamin Netanjahu den Vorsitz der Likud übernommen hat, kompromißlos erklärte: „Wir sehen keine Möglichkeit, Siedlungen abzubauen“, ging die National-Religiöse Partei (NRP) noch weiter und wandte sich strikt gegen eine Einstellung des fortgesetzten Baubetriebs im Westjordanland. Ehud Barak muß, nicht zuletzt um ein Zeichen an die palästinensischen und US-amerikanischen Partner im Friedensprozeß zu senden, umgehend den Siedlungsbau einstellen. Es ist jedoch anzunehmen, daß die NRP einen pragmatischen Weg einschlagen wird – eventuell im Gegenzug für das von der Partei am meisten begehrte Amt des Erziehungsministers. Die beiden religiösen Parteien, die potentielle Koalitionspartner sind, sorgen sich um die verschiedentlich angekündigte „neue Gelderverteilung“. Dabei geht es um Subventionen vor allem für religiöse Erziehungseinrichtungen.

Ehud Barak weigert sich vorläufig, über Ämterverteilung zu reden. Damit stößt er vor allem bei Parteifreunden auf Mißmut. Ganze 20 Minuten Gesprächszeit räumte er jeweils den Anwärtern auf einen Ministerposten ein.

Kritik in den eigenen Reihen löste auch Baraks Entscheidung aus, einen Außenstehenden zum Chef der Verhandlungsdelegation zu ernennen. David Libai war Justizminister unter Jitzhak Rabin und hatte sich nach der Wende 1996 aus der Politik zurückgezogen. Libai werde bei den Koalitionsverhandlungen keine persönlichen Interessen vertreten, argumentiert Barak. Der über Fraktionsgrenzen hinweg als ausgesprochen integer geltende Politiker könnte den Weg zu einer Koalition mit Schas ebnen. Wenn er die orthodoxe Partei für „koscher“ erklärt, wird der Widerstand gegen sie abnehmen. Susanne Knaul

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