: Vom Regen in die Traufe
Hochwasser in Bayern: Zuerst kamen die Gaffer, dann die Plünderer. In Augsburg hat die Polizei bereits sechs Personen festgenommen, die die Opfer der Überflutungen bestohlen haben ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann
Noch immer stehen weite Teile Bayerns unter Wasser. Hunderte von Häusern mußten evakuiert werden, vielerorts können die Menschen noch immer nicht zurück in ihre Häuser. Dort, wo sie bereits zurück sind oder sich „nur“ in die oberen Stockwerke retten mußten, haben die Aufräumarbeiten begonnen. Das geht jedoch nicht ganz ohne Behinderungen, wie etwa die Bewohner des Augsburger Stadtteils Pfersee auf drastische Weise erfahren mußten.
Die Straßenzüge sind übervoll mit kaputten Waschmaschinen, Trocknern, durchnäßten Teppichen, Möbeln, Kleidern. Überall sind Fahrzeuge der Stadt unterwegs, um den gröbsten Unrat wegzuschaffen. Es sieht aus wie bei einer Jahrhundert-Sperrmüllabfuhr. 80 Zentimeter hoch und mehr stand das Wasser auf den Straßen, meterhoch in den Häusern.
Kaum war das Wasser etwas gesunken, kamen die ersten Gaffer, berichtet Peggy Stegmann. „Von überall her sind sie mit ihren Videokameras gekommen. Wir mußten unsere Straße abriegeln.“ Die Neugierigen hätten gefragt, ob sie in die Wohnung reindürfen, mal kucken, wie es aussieht. Geholfen aber habe keiner, nur gegafft. „Da können Sie die Menschheit kennenlernen, in so einer Situation. Soviel Enttäuschung, wie man da erlebt.“
Kaum waren die Gaffer verschwunden, und es wurde dunkel, kamen die Plünderer, berichten die Anwohner. „Gestern habe ich die halbe Nacht durchgemacht, weil sie von Haus zu Haus gelaufen sind und geklaut haben“, erzählt Alexandra Weber, alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Die junge Frau erlitt einen Nervenzusammenbruch. Die Verbitterung über die Fledderer ist ihr deutlich anzumerken. „Einer kam mit dem Fahrrad. Der hatte einen Anhänger dran. Aber er war nicht alleine. Die klauen wie die Raben.“
Ihre Nachbarin, Peggy Stegmann weiß ein Lied davon zu singen. „Einige sind sogar mit einem Mercedes vorgefahren. Da sind dann vier nette Menschen ausgestiegen und haben uns übel beschimpft, weil wir gesagt haben, sie sollen sich davonmachen.“ Während die Frauen die Plünderaktionen beschreiben, marschiert ein junger Mann mit prall gefülltem Riesenrucksack vorbei. Die Frauen werfen ihm einen abschätzigen Blick zu, der Bände spricht, sagen aber nichts. Voll bepackte Rucksäcke sind für sie inzwischen eher ein kleines Problem, gemessen daran, wie hier ihr Hab und Gut abtransportiert wird.
Richtig bedürftig oder arm sei ihr keiner dieser Plünderer vorgekommen, sagt eine Frau, die gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Mann in Gummistiefeln durch den Keller watet und kaputte Einrichtungsgegenstäbe hochschleppt. Dann erzählt sie von zwei älteren Damen, etwa 60 Jahre alt, die mit Schoßhündchen zum Stibitzen gekommen sind. „Ich habe gesagt, haben Sie denn gar keine Moral, aber das hat die gar nicht gestört.“
Die Polizei kontrolliert die betroffenen Wohnviertel immer wieder, doch kaum sind die Beamten eine Straße weiter, wird wieder geplündert. Den Betroffenen versuchen, sich selbst zu helfen, Nachbarn lösen sich gegenseitig mit der Nachtwache ab. Die Polizei fährt inzwischen Sonderstreifen, bestätigt der Augsburger Polizeisprecher Manfred Gottschalk. „Es ist in der Tat so, daß es offensichtlich Menschen gibt, die eine solche Ausnahmesituation ausnützen und Gegenstände entwenden, die zum Trocknen herausgelegt worden sind. Wir waren in der Lage, bis jetzt sechs Personen festnehmen zu können, die tatsächlich Gegenstände entwendeten. Das ging von Skiern bis über Autoreifen und Kinderwagen. Diese Gegenstände wurden natürlich von uns sichergestellt, und die Leute werden auch in entsprechender Weise zur Anzeige gebracht.“
Die Ausreden, man wolle nur vom Sperrmüll etwas mitnehmen, lasse man nicht gelten. Schließlich seien sogar Dampfstrahler und Notstromaggregate entwendet worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen