: Brüder und Schwestern
■ Die Türkei
Wenn es in der Türkei eine politische Frage gibt, in der sich sämtliche politischen Parteien mit der Gesellschaft einig sind, dann ist es die Solidarität mit den Flüchtlingen aus dem Kosovo. Bis heute hat die Türkei klaglos und ohne jede innenpolitische Kontroverse 16.485 Flüchtlinge offiziell aufgenommen, darunter 6.111 Frauen, 5.147 Männer und 5.277 Kinder.
Mehr als die Hälfte dieser Flüchtlinge lebt bei Verwandten oder Freunden und Bekannten, überwiegend in Istanbul. 7.484 Flüchtlinge sind in einem Flüchtlingslager nahe der bulgarischen Grenze, in Kirklareli, untergebracht.
Mitarbeiter des UNHCR, die das Lager in Kirklareli besuchten, waren voll des Lobes für die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge leben. Die türkische Regierung hat bereits angekündigt, daß sie bereit wäre, das „Kontingent“ von 20.000 auch noch einmal zu erhöhen.
Das Zentrum für die Flüchtlinge in Istanbul ist Aksaray, der Stadtteil, in dem traditionell die meisten Flüchtlinge, die in die Türkei kommen, landen. Nach den Iranern in den 80er Jahren, den Menschen aus den diversen Teilen der früheren Sowjetunion, den Bosniern, sind es jetzt die Kosovaren, die Aksaray bevölkern.
Es gibt ein Verbindungsbüro der Demokratischen Liga Kosova, der Partei des gemäßigten Albanerführers Ibrahim Rugova, von dem aus ein großer Teil der organisatorischen Arbeit für die Flüchtlinge erledigt wird. Das Büo ist gleichzeitig Treffpunkt und Informationsbörse. Außerdem treffen sich viele Kosovaren in den Lobbys der etwas heruntergekommenen Hotels in Aksaray; nicht weil sie dort wohnen, sondern weil es hier Fernseher mit Satellitenempfang gibt.
Die meisten Flüchtlinge sind froh, daß sie in der Türkei gelandet sind. Viele verstehen türkisch und sprechen die Sprache ganz leidlich. Die Bevölkerung ist ihnen gegenüber durchweg freundlich gesinnt. Selbst auf den Behörden, bei der berüchtigten Fremdenpolizei, werden Flüchtlinge aus dem Kosovo ungewöhnlich zuvorkommend behandelt. Kosovo-Albaner gelten in der Türkei als Brüder und Schwestern in Not.
Über 500 Jahre gehörte das Kosovo zum Osmanischen Imperium und anders als die Serben, Makedonier und Bulgaren wurden die Albaner zu Muslimen. Viele Kosovo-Albaner brachten es zu bedeutenden Stellungen.
Die Türkei gehörte deshalb auch von Anfang an zu den Nato-Ländern, die am massivsten auf eine Intervention im Kosovo drängten. Allerdings unterstützt die türkische Regierung bislang kein unabhängiges Kosovo. Da wäre die Gefahr denn doch zu groß, daß die Debatte um eine politische Lösung der kurdischen Frage eine ganz und gar unliebsame Wendung nehmen könnte.
Jürgen Gottschlich
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