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Eine Frau jagt Milosevic

Louise Arbour hat das Anklagematerial gegen Milosevic zusammengetragen. Trotz aller Anfeindungen ließ sie sich in ihrer Entschlossenheit nicht beirren  ■ Von Christian Semler

Genugtuung und Ratlosigkeit halten sich die Waage. Selten hat eine Anklageerhebung auf seiten der Politiker so viel Zwiespältigkeit produziert wie die gestrige des Haager Ermittlungsrichters gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodon Miloevic und seine „engsten Kampfgefährten“. Sie alle sind immer noch führende Staatsfunktionäre in Jugoslawien und Serbien und ab jetzt außerdem noch offiziell verdächtigt, im Kosovo massiv das humanitäre Völkerrecht gebrochen zu haben.

Louise Arbour, Chefin der Anklagebehörde beim Internationalen Gerichtshof zur Aburteilung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, hat die Anklagepunkte zusammengetragen, sie einer Prima-facie-Prüfung unterzogen und dem zuständigen Richter übermittelt.

Sie ist sich der politischen Folgen dieses juristischen Schritts bewußt – und ignoriert sie. In den letzten Wochen war sie auf den Pressekonferenzen in Den Haag mit der Frage bestürmt worden, ob ein Haftbefehl gegen Miloevic nicht die Möglichkeiten eines Friedenschlusses auf dem Balkan gefährden würde. Es sei von relativ geringem Interesse für sie, ob irgendeine Aktion des Tribunals politische Schwierigkeiten heraufbeschwören würde, antwortete sie.

Louise Arbour wird von den Gegnern des Haager Tribunals gern als Vollzugsgehilfern der Nato porträtiert. Solche Vorwürfe häuften sich, seit einige der Nato-Staaten wie Großbritannien und Deutschland der Anklagebehörde Materialien über serbische Kriegsverbrechen übergaben und die Chefin der Anklage mit Staatsmännern der Allianz im Fernsehen posierte. Selbst ehemalige Kollegen Louise Arbours von der kanadischen Toronto-Universität sehen ein Problem. „Es ist wichtig, daß das Tribunal nicht nur eine Armlänge von den Kombattanten entfernt scheint, sondern daß es diese Distanz wirklich wahrt.“

Solche Kritik ficht Louise Arbour nicht an. Sie besteht nicht nur auf der Unabhängigkeit der Anklagebehörde, sie fordert von den westlichen Politikern auch Beweismaterial ein, das tatsächlich gerichtsverwertbar ist, also das „Rohmaterial“ der Nato-Aufklärung, nicht das geheimdienstlich zubereitete; authentische Zeugenaussagen, nicht Zusammenfassungen.

In den letzten Wochen hat ihr Stab stets, auch gegenüber ungeduldigen Menschenrechtsorganisationen, betont, eine hieb- und stichfeste Ermittlungsarbeit erfordere Zeit, Geld und zuverlässiges Personal, das „vor Ort“ arbeiten könne. Und wenn ein Haftbefehl erlassen werde, dann sei noch lange nicht sicher, ob er veröffentlicht werde. Jetzt hat sich offenbar die Meinung durchgesetzt, daß Publizität der Verfolgung nützlich sei.

Als der UNO-Sicherheitsrat 1993 die Statuten des Internationalen Gerichtshofs verabschiedete, war er sich darüber im klaren, daß Menschenrechte nicht von abstrakten Institutionen verletzt werden, sondern von Tätern aus Fleisch und Blut.

Der zweite Absatz des Artikels 7 legt eindeutig fest, daß Staatsämter nicht vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit schützen, auch keine mildernden Umstände begründen. Miloevic kann sich demnach auf keine innerstaatlichen Immunitätsbestimmungen stützen, denn das Statut des Tribunals ist nach Abschnitt VII der UNO-Charta als Zwangsinstrument beschlossen worden.

Die Rechtsfakultät der Universität Belgrad ist hier erwartungsgemäß anderer Meinung. Sie sieht es (in diesem für sie nur hypothetischen Fall) als notwendig an, daß die jugoslawische Bundesversammlung die Immunität des Präsidenten aufhebt.

Die jugoslawischen Justizbehörden wie auch die Belgrader Fakultät erkennen die Autorität des Internationalen Gerichtshofs hinsichtlich des Kosovo nicht an. Auch wer in Serbien das Haager Gericht für zuständig hält, will seine Tätigkeit auf Verbrechen bis zum Abschluß des Dayton-Abkommens beschränkt wissen.

Diese Rechtsauffassung widerspricht allerdings klar dem Wortlaut des Statuts, das zwar einen Anfang, aber kein Ende des Verfolgungszeitraums ausspricht.

Materiell stützt sich die Anklage auf Völkerrecht, das im Statut des Internationalen Gerichtshofs nicht neu entwickelt, sondern nur zusammengefaßt wurde. Es sind dies die Genfer Konvention von 1949, völkerrechtlich anerkannte Bestimmungen über die „customs of war“, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Bruch der Völkermord-Konvention der UNO. Jugoslawien hat alle genannten völkerrechtlichen Abkommen ratifiziert.

Soweit aus den veröffentlichten Materialien ersichtlich, stützt sich die Anklage auf die ersten beiden Konventionen, so daß die Frage, ob Miloevic und seine „Kampfgefährten“ subjektiv einen Völkermord an Teilen der Kosovaren in Kauf genommen haben, vorläufig nicht entschieden zu werden braucht. Juristisch wird es die Aufgabe der Anklagebehörde sein, eine Befehlskette zu beweisen, die von der jugoslawischen bzw. serbischen Parteiführung bis zu den Truppenteilen reicht, die Verbrechen ausübten. Dabei wäre es schon ausreichend für die Anklage, der Führung Kenntnis der Verbrechen nachzuweisen.

Alle UNO-Mitglieder sind verpflichtet, einen Haftbefehl zu vollstrecken, das folgt aus dem Erga-omnes-Prinzip des Völkerrechts, wonach jeder Staat gehalten ist, „Feinde der Menschheit“ als eigene Feinde zu behandeln.

Viel wird davon abhängen, ob die Nato-Staaten die Haftbefehle nur als Instrumente im Menschenrechts-Propagandakrieg ansehen, die ad acta gelegt werden, wenn die Diplomatie zur Sache kommt. Und die Glaubwürdigkeit des Gerichts wird sich auch darin erweisen müssen, daß wegen der Nato-Luftangriffe ermittelt wird, wie das einige humanitäre Organisationen fordern. Ob sie es will oder nicht, auf die bedeutende Juristin und Menschenrechts-Aktivistin Louise Arbour kommen jetzt auch politische Aufgaben zu.

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