Am Plastikstehtisch

Ein isländischer Skalde in Berlin: „Nonstop“ von Ólafur Sveinsson – ein Tankstellenfilm mit Schrebergärten  ■   Von Wolfgang Müller

Vor tausend Jahren bestellten die norwegischen Könige Dichter und Geschichtenerzähler, sogenannte Skalden, aus Island zu sich ins Land. Am Hofe waren sie für ihre herausragende Erzählkunst bekannt und geschätzt.

Der isländische Filmemacher Ólafur Sveinsson setzt mit seinem Dokumentarfilm „Nonstop“ diese alte Tradition fort, natürlich nicht im Auftrag des Adels, sondern des DFFB, der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Sein Abschlußfilm ist eine wunderbare Studie über Berlin und seine Menschen.

Dreh-, Angel- und Ausgangspunkt seiner filmischen Exkursion ist eine 24 Stunden geöffnete Tankstelle mit einem unattraktiven wabenförmigen Plastikstehtisch. Hier, an diesem Stammtisch, treffen sich unterschiedlichste Charaktere und sinnieren und philosophieren über die Welt an und für sich oder aber über ihren Schrebergarten.

Das Leben zeigt sich in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und Vielfalt, aufmerksam beobachtet und spannender als jeder Krimi. Eine mollige rothaarige Transsexuelle plaudert mit zwei charmant-verlegenen Polizisten und benutzt anschließend öffentliche Verkehrsmittel. Sie sei noch nicht operiert, trage im Personalausweis aber bereits einen weiblichen Vornamen und stehe überdies auf Frauen. Die Falafel vom Wittenbergplatz sind die besten, weiß sie.

Zwei alte Männer, ebenfalls Tankstellenstammkunden, stellen fest, daß die Kleinen immer die Dummen sind – aber ins Gras beißen müßten ja die Großen auch. Das zum Trost. Sie tragen diese merkwürdigen Schiebermützen, die der Wahlisländer und Künstler Dieter Rot schon so schätzte.

Vom Geschehen in und um die Tankstelle führt die Geschichte dann in die Umgebung, bis an die Außenbezirke. Die Kamera setzt sich wie selbstverständlich ins Auto und landet auf dem Beifahrersitz des Taxifahrers oder in einer Schrebergartenkolonie. Dort wird der Zuschauer von einem kräftigen Schultheiss-Fan vertrauensvoll durch seinen Schrebergartenbungalow geführt, Schlafzimmer, Bad und WC inklusive. Jetzt wachsen bereits 150 Kirschen an seinem Baum, vor zwei Jahren seien es gerade mal 18 gewesen. In der Folge outet er sich als zufriedener Ostberliner.

Ólafur Sveinsson gelingt es, die Menschen vorzuführen, ohne sie vorzuführen. Sie führen sich sozusagen vertrauensvoll auf. Die Distanz zwischen ihm und seinen Akteuren zeigt sich vielleicht in den filmischen Perspektiven, den Kamerapositionen und den klaren, schönen Bildern. „Besuch aus Portugal“ kündet die Transsexuelle an: zwei portugiesische Arbeiter auf Montage, die Unterhaltung ist untertitelt. Wir erleben schließlich die bizarre Verpuppung der Transsexuellen, die – nun blond gefärbt und frisiert wie eine Skinmieze – kundgibt, eine stolze Deutsche zu sein und zu ihrem Land zu stehen. Auf ihrer Brust baumelt der Thorhammer. Deutschland lebe im Krieg, sagt sie, im Krieg gegen die ausländischen Einflüsse. Und Döner finde sie sowieso ganz scheußlich. Sie sei eine überzeugte Deutschnationale. Da entfährt dem Filmemacher ein überraschtes „Was?“ im Off.