piwik no script img

Mindestens 180 Quadratmeter

■  Eigenwillig ist nicht nur die Schlange am Moabiter Werder, einem Wohnkomplex für die aus Bonn kommenden Abgeordneten, eigenwillig sind auch die Wohnungswünsche der Politprominenz

Plötzlich werden sie alle seltsam privat. „Ja, wo wohnen Sie denn?“ will eine Sprecherin eines Bonner Ministeriums wissen, die sonst berufsbedingt nie Zeit hat. „Ich habe neulich eine Fahrt mit Freunden durch Berlin unternommen, da habe ich mich erst mal orientiert. Schöneberg und Prenzlauer Berg haben mir gut gefallen.“ Die Bonner sitzen im Geist schon auf gepackten Kisten, und Schöner Wohnen in Berlin ist gefragt. Wo und zu wieviel, das steht in nüchternen Rubriken der Tageszeitungen. Doch wie ist das prominente Ostviertel Pankow, wie grün ist Friedenau, und wo genau liegt eigentlich der Nikolassee?

Die Wohnungen der sogenannten Schlange, des Moabiter Werders, vermieten sich dabei eher schleppend. Die 718 Wohnungen, zwischen S-Bahn-Trasse und Spree am Tiergarten liegend, wurden für 200 Millionen Mark für die Bundestagsabgeordneten gebaut. Doch nur wenige wollen nun dort einziehen. Bislang gibt es laut der Pressestelle der CDU-Faktion insgesamt rund 120 Parlamentarier, die einen Vertrag abschließen wollen, wie die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle. Bei 669 Bundestagsabgeordneten ist das eine magere Bilanz. Zu dunkel, zu teuer, kein Balkon, das sind die Gründe, die die Parlamentarier abhalten. Immerhin sollen sie für ihre Zweitwohnung in der Schlange 19 Mark pro Quadratmeter ausgeben.

Die parlamentarische Geschäftsführerin der CDU, Brigitte Baumeister, bezeichnet den Schnitt der Wohnungen diplomatisch als „bisweilen sehr eigenwillig“. Im Klartext: In einigen der 1- bis 4-Zimmer-Wohnungen ist die Küche mitten ins Wohnzimmer gebaut. Da Baumeister das Projekt Abgeordnetenwohnungen selbst mit angeregt hat, steht sie jetzt natürlich zu ihrem Engagement: „Ich werde dort einziehen“, sagt die 53jährige, die keine Angst vor einer Ghettoisierung hat. Andere wollen sich hingegen nicht von den Kollegen, mit denen sie tagtäglich im Regierungsviertel zusammenarbeiten, abends auch in die Fleischtöpfe blicken lassen.

Damit der Moabiter Werder keine leere Steinwüste bleibt, dürfen sich seit zwei Wochen die Bundesbediensteten zu einem günstigeren Mietpreis als die Abgeordneten – zwischen 15 und 17 Mark pro Quadratmeter – um ihr neues Zuhause nahe am Regierungsviertel bewerben.

Und so herrscht bei einigen Abgeordneten große Ratlosigkeit oder die Ruhe vor der Suche, wie bei Rudolf Dreßler, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD: „Ich will mich nicht hetzen lassen.“ Bislang wohnt er, wenn er in Berlin ist, im Hotel Palace am Kurfürstendamm. Auf lange Sicht will er sich in Dahlem umschauen. „Da ist es schön grün.“

Ein Großteil der Politprominenz zieht es jedoch nach Mitte, in den Trubel der Hauptstadt. Bundesbauminister Franz Müntefering hat sich zusammen mit seiner Frau dort eine Wohnung gesucht. Und auch der grüne Außenminister Joschka Fischer will laut Zeitungsberichten mit seiner 30jährigen Frau dort hinziehen. Mindestens 180 Quadratmeter im Altbau strebt das Paar an. Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, fand aufgrund des Krieges im Kosovo keine Zeit, eine Wohnung in Berlin zu suchen, und klagte am Abend vor der Reichstagseröffnung einem Berliner Freund ihr Leid. Der hatte gleich einen Tip an der Hand. Am nächsten Tag, während der Eröffnungsdebatte im Reichstag, setzte sie sich ins Taxi. „Nach einer halben Stunde hatte ich den Mietvertrag unterschrieben in der Tasche“, erzählt sie. Die Wohnung in Mitte sei geradezu ideal.

Auch der bislang politisch glücklose Bundesarbeitsminister will sich mitten in die Stadt begeben. In Bonner Zeiten hat der SPD-Mann Walter Riester im weiter von Bonn entfernten Westerwald gewohnt. Nun zieht er mit seiner Frau ins Nikolaiviertel. Riester: „Da ist es schön ruhig, und ich kann zu Fuß nach Hause gehen.“ Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bleibt dort wohnen, wo er auch schon als DDR-Bürger zu Hause war. „In den 25 Jahren, in denen ich hier am Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg wohne, hat sich die Wohnung kaum verändert, es sind nur immer mehr Bücher dazugekommen“, erzählt der Kulturwissenschaftler. „Wenn ich jetzt in irgend so eine feine Villengegend ziehen würde, wäre das ein Akt sozialer Entwurzelung“, findet er, der mit der Mehrzahl seiner Nachbarn befreundet ist. „Für die bin ich immer noch der alte Kumpel.“ Man „quatscht zwar heute kürzer und seltener als früher“, aber immer noch gehe er mal auf ein Glas Wein zu den Nachbarn rüber.

Die sozialen Wurzeln des Berliners Thierse haben natürlich westdeutsche Politiker wie etwa Bundesumweltminister Jürgen Trittin nicht. Dennoch bemüht er die deutsch-deutsche Vergangenheit, wenn er sagt: „Pankow ist mein Ziel, auf den Spuren von Bolle und Udos Sonderzug.“ Eine Bleibe gefunden hat er in dem ehemaligen Diplomatenviertel der DDR nördlich von Prenzlauer Berg allerdings noch nicht.

Der türkischstämmige Abgeordnete der Grünen, Cem Özdemir, bleibt sich mit seiner Wahl der Wohnung sozusagen rein vergangenheitsmäßig treu. Er hat gerade in dem von vielen Türken bewohnten Stadtteil Neukölln eine schicke Dachgeschoßwohnung gemietet: „Die Politprominenz wohnt in Wannsee, da kann ich hier abends ruhig in die Kneipe gehen.“

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung, fällt immer die Kneipe im Tacheles als erstes ein. Ein verfallener Bau in Mitte, der kurz nach dem Mauerfall besetzt wurde und mittlerweile ein über die Stadtgrenzen hinaus bekanntes Kulturzentrum ist. Hier ihr Bier nach anstrengenden Kabinettssitzungen zu trinken, kann sich die Ministerin gut vorstellen. Wohnen will sie auch am liebsten gleich um die Ecke in Mitte: „Ich will mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.“

Wer weiß, wer also demnächst bei einem an der Türglocke bimmelt und sagt: „Tag, Sie kennen mich ja aus dem Fernsehen. Ich bin Ihr neuer Nachbar.“

Annette Rollmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen