Reisen verführt!

Jahrhundertelang hat der Reiz der Fremde Männer um den Globus getrieben. Nun lassen sich Frauen davontreiben und schreiben darüber: Beispielsweise eine Erfolgsgeschichte wie „Die weiße Massai“  ■ Von Edith Kresta

Einer, der auszog, das Fürchten zu lernen und die Welt zu erkunden – dies war jahrhundertelang Thema der Reiseliteratur. Die Reiseberichterstattung – ob literarisch oder sachlich – war eine Männerdomäne. Von Marco Polo über Goethe bis Bruce Chatwin oder Jack Kerouac – Männer reisten, entdeckten die Fremde und schrieben darüber. Heutzutage haben die Frauen aufgeholt. Sie reisen und fürchten sich vor gar nichts.

Während die männlichen Botschafter aus fernen Ländern das Objekt ihrer Reiselust distanziert beschreiben, lassen sich die reisenden, schreibenden Frauen hemmungslos fallen. Sie lassen sich ein auf die Fremde, den fremden Mann. Sie sind bereit, mit dem Land, den Leuten, dem fremden Liebsten zu verschmelzen, wo der männliche Autor nur Melancholie an einem Regentag im Urwald verspürt. Ihm winkt das Schicksal an fernen Gestaden, wo er verschämt auf jugendliche Piratenträume zurückblickt oder sich auf eine halbprofessionelle Affäre einläßt. Frauen machen ihre Grenzerfahrungen im Sinne Courths-Mahlers auf den Klippen der Seele, Männer erklimmen den Himalaya.

Und diese Erfahrungen machen Touristinnen zu Autorinnen. Ihre Abenteuergeschichten voll Liebesleid und Fernweh werden von einem weiblichen Lesepublikum verschlungen. Das darf sich endlich in exotisch-erotischen Träumen der weiblichen Art verlieren, wo Massais und schöne Araber wandeln – kleingewachsene Pygmäen oder verschlossene Eskimos wären weniger dafür geeignet. Sollen die Männer weiter von üppigen Südseeschönheiten und anschmiegsamen Thai-Frauen träumen: Die Frauen holen sich, was sie brauchen. Weltweit. Diese Vermutung legt zumindest eine Reihe jüngerer Publikationen von Frauen nahe. Beispielsweise Aneti M. Moimoi, die in ihrem Buch „Der Traum von den Südseeinseln“ ihr Leben und ihre Ehe auf Tonga beschreibt. Oder das letzte Woche auf diesen Seiten besprochene Buch von Dea Brikett, „Schlange im Paradies“, die Geschichte einer Frau, die alleine nach Pitcairn auswandert. Oder Evelyn Kerns unsägliches Buch „Sand in der Seele“ über eine Urlaubsliebe in Tunesien. Und schlußendlich Corinne Hofmann: Mit ihrem Buch „Die weiße Massai“ führt sie seit Wochen die Bestsellerlisten an.

Das Ende August 1998 erschienene Buch hat bereits die neunte Auflage und 250.000 verkaufte Exemplare erreicht. Eine Erfolgsstory, die bald in die Kinos kommt.

Die Handlung ist so schlicht wie abenteuerlich. Die Schweizerin Corinne Hofmann fuhr in den Urlaub nach Kenia, sah ihn, wollte ihn und eroberte ihn. Sie lief dem Mann geradewegs zu, der es eigentlich gewohnt ist, für die Ehefrau zu bezahlen. Für ihre Obsession zu dem „schönen Massai, ihrem Krieger“ gab Corinne Hofmann Freund und eine gesicherte Existenz auf. Sie zog zu ihrem „Halbgott“ in die kenianische Steppe und wohnte in einer Kuhfladenhütte. Dort fühlte sie sich endlich daheim. Angekommen bei sich und dem Mann ihrer Träume.

Vier Jahre lebte sie unter extremen Bedingungen im kenianischen Busch. Vier Jahre, in denen ihr „Halbgott“ immer irdischer wurde. Aus dem wunderschönen Krieger und Beschützer wurde nach und nach ein eifersüchtiger, unzufriedener Tyrann. Die Beziehung zerbrach. Corinne Hofmann kehrte mit ihrer in Kenia geborenen Tochter fluchtartig in die Schweiz zurück.

Das Buch, frei von literarischen Ambitionen dahinerzählt, läßt Frauenwangen glühen. Auf ihren Lesungen schlägt Corinne Hofmann Bewunderung entgegen. Die Frauen zeigen sich fasziniert von ihrem Mut, aber vor allem von der Entschlossenheit, sich kompromißlos der Obsession für den Mann zu ergeben.

Ihre Geschichte ist eine Frauengeschichte. Sie ist unmöglich auf einen Mann umzuschreiben. Dieser kann sich die süße Regression, das Aufgehen in den Armen der schönen Wilden nur dann leisten, wenn er die Hosen anbehält. Die hatte Corinne Hofmann bei ihrem Massai letztendlich auch an, aber sie konnte nach dem Muster völliger Hingabe zunächst in die andere Gesellschaft eintauchen. Solcherart bedingungslose Hingabe wäre bei einem Mann geradezu lächerlich. Den Massai – ob Mann oder Frau – ist sie ohnehin fremd.

Hofmanns Obsessesion paßt jedoch wunderbar in unser romantisch-verkitschtes patriarchales Bild der Geschlechterbeziehung. Völlige Hingabe, sich aufgeben wird bei diesem Konzert der Gefühle mit weiblicher Erfüllung gleichgesetzt. Hofmanns schöner Krieger ist die ideale Projektionsfläche für die alte Geschichte vom Prinzen: Sie hatte den Beschützer, „ich hatte nie Angst mit ihm, ich fühlte mich getragen.“ Sie stellte sich an die Seite des „jungen Gottes“, der weiß, wo es langgeht. Sie hatte die ganz große Leidenschaft gefunden, für die frau alles steh'n und liegen läßt. Ihre Geschichte macht kühnste Frauenträume wahr. Und so lebte Corinne Hofmann in der ärmlichsten Kuhfladenhütte den Exzeß europäischer Weiblichkeit. Daß der Prinz schließlich keiner war, ist Nebensache.

„Das war einmal etwas anderes“, sagt Hofmann heute, „etwas, was jede gefühlsmäßige Dimension sprengte.“ Auf jeden Fall war es eine Grenzerfahrung. Und für diese Grenzerfahrung ist Hofmann dankbar: „Es hat mich gelassener gemacht. Gestärkt.“ Heute lebt die attraktive Corinne Hofmann als erfolgreiche Autorin in der Schweiz. Ihr Massai hat sie schlußendlich doch noch glücklich gemacht.

„Im Fremden liegt ein Reiz, ein Abenteuer, aber auch Angst. Es ist furchteinflößend, aber auch betörend. Auf die Fremde ist viel Sehnsucht gerichtet. Sie repräsentiert das Andere, das sich der Einverleibung ins eigene Leben widersetzt. Die Fremde ist aber auch immer das eigene Fremde, das in der fremden Fremde aus dem Tiefschlaf erwacht. Ein erregender, hocherotisierender Prozeß.“ Der Freizeitforscher Bruno August Krümpelmann hat die Erotik des Reisens analysiert. Jahrhundertelang hat dieser Reiz des Fremden Männer um den Globus getrieben. Nun lassen sich auch Frauen davon treiben. Und sie verfallen der Erotik des Reisens ganz. Denn wie könnte man sich das Fremde besser einverleiben, als durch die gelebte Nähe zu einem Fremden?

Dank einer intakten touristischen Infrastruktur kommt die moderne Reisende bis ins letzte Wüstendorf. Dank ihrer sexuellen Freizügigkeit in die unscheinbarste Strohhütte. Ganz anders ihre viktorianischen Vorgängerinnen wie Alexandra David-Neel, Isabella Bird oder auch die deutsche Ida Pfeiffer. Sie waren die ersten unabhängig in die Welt hinausziehenden Frauen, die Reisen für sich als Lebensstil entdeckten. Sie fuhren gepanzert mit ihrem britischen Habitus und dem dazu passenden Kostüm durch die Welt. Und der grundlegenden Voraussetzung: materielle Absicherung und Selbständigkeit. Bei aller Weltoffenheit blieben sie ihren gesellschaftlichen Normen und Weltbildern treu. Niemals gaben sie vor, in eine andere Haut, eine andere Rolle schlüpfen zu können. Noch im letzten Wüstendorf beharrten sie auf der Teestunde. Und mögen sie bei ihren Ausflügen in die Welt nicht nur dem Charme der Fremde, sondern auch dem Charme eines Fremden erlegen sein, so kommt er in ihren Aufzeichnungen allenfalls als Fußnote vor. Very british in Diskretion und standesgemäßen Tabus. Sie wandelten im Bewußtsein ihrer überlegenen Kultur.

Die moderne Reisende, die sich aus den touristischen Bahnen herauswagt, kennt keine Tabus. Ihre Kultur möchte sie am liebsten abstreifen. Sie nimmt sich, was sie braucht und schlüpft in die Rolle, die sie sich wünscht: ob als Südseeinsulanerin oder als weiße Massai. Sie erfindet sich neu.

Imperialismus der Gefühle? Geschenkt. Wer sich so einläßt auf eine andere Kultur, kann wenig erobern. Wer sich so einem mittelalterlichen Männerideal ausliefert, kann wenig zerstören. Außer vielleicht sich selbst. Diese schreibenden Frauen mit ihrer Obsession für die Fremde probieren sich aus. Ganz ichbezogen, ganz privat. Ihre Bühne ist der ganze Globus, die unterschiedlichsten Kulturen sind ihre Kulissen. Der Stoff, aus dem die Träume sind, ist immer gleich: Wunderschöner Prinz legt Prinzessin sein sagenhaftes Königreich zu Füßen. Der Tourismus hat die fernen Königreiche nähergebracht, die Auswahl an Prinzen erhöht. Frauen folgen gespannt der globalen Glückssuche und verschlingen die Talkshow-mäßig aufbereiteten Erfahrungsberichte. Und die daheimgelassenen Männer schauen neidisch zu.

Corinne Hofmanns schöner Krieger und Beschützer ist die ideale Projektionsfläche für die Geschichte vom Prinzen.