Holzwand rettet FDP-Parteitag

Mit einer Showeinlage dreht Generalsekretär Westerwelle den Konvent der Liberalen um. Parteichef Gerhardt muß mehrere Niederlagen hinnehmen  ■   Aus Bremen Markus Franz

Bis Samstag morgen kurz vor zwölf sah es so aus, als würde es für die FDP ein Parteitag des Leidens werden: der persönlichen Demütigungen, der verletzten Eitelkeiten – denn am Vortag war es nur um eines gegangen: Wer intrigiert und dealt am besten um seinen Wunschposten. Eine Woche vor den Bürgerschaftswahlen in Bremen und zwei Wochen vor der Europawahl waren Inhalte nebensächlich, erstarrte der Bremer Parteitag im „Weiter so – nur wohin?“ Dann kam Generalsekretär Guido Westerwelle.

Seinem Auftritt galt die Hoffnung der Delegierten, insbesondere nach der enttäuschenden Rede des Parteichefs Wolfgang Gerhardt, von der lediglich das Bekenntnis zur Bündnistreue mit der Union hängengeblieben war. Westerwelle hatte die Unzufriedenheit gespürt und sich zu einem Showelement durchgerungen, wie es das auf einem Parteitag der FDP bisher noch nicht gegeben hat.

Mit dem Mikrofon in der Hand wie ein Showmaster, ging er auf eine Nagelwand zu, die beim Stichwort 630-Mark-Jobs in den Saal gerollt wurde. „Mehr als 65.000 Angestellte im Bäckerhandwerk können jetzt ihren Job an den Nagel hängen“, rief er, „das ist unsozial“ – und hängte eine Brötchentüte an einen Nagel. Es folgten eine Bratpfanne für die Beschäftigten im Gaststättengewerbe, eine Zeitung für die Zeitungsaussteller, Fußballschuhe für die Ehrenamtlichen in Sportvereinen. Da konnten sich die liberalen Delegierten mit Jubel und Johlen kaum mehr einkriegen. Schnurz, daß Westerwelle keine Argumente gegen das 630-Mark-Gesetz gebracht hatte. Er hatte für die Liberalen ein neues Thema jenseits von Steuersenkungen, Abschaffung des Ladenschlusses und Reform des Staatsangehörigkeitsrechts visualisiert. Alles nur Show?

Vielleicht kamen Westerwelles Spökes deswegen an, weil er vorher den Delegierten aus der Seele gesprochen hatte. Er vermittelte ihnen den Glauben an die eigene Bedeutung jenseits der Funktion als Mehrheitsbeschaffer. „Was unterscheidet uns von allen anderen Parteien in Deutschland?“ fragte er: Alle Parteien setzten zuerst auf den Staat und dann auf den Bürger. Die FDP setze zuerst auf den Bürger.

In der Politik, fuhr Westerwelle fort, gebe es drei Grundwerte: Ordnung, Gleichheit, Freiheit. Die CDU setze im Zweifel auf Ordnung, die SPD auf Gleichheit, die Liberalen – „und deswegen unterscheiden wir uns“ – auf Freiheit. Die Betonung der Eigenständigkeit machte es glaubhaft, wenn er sagte, die FDP verstehe sich nicht als „Regierungspartei im Wartestand“ und definiere sich nicht über Koalitionsaussagen. Eine Erlösung für diejenigen Delegierten, die sich durch Gerhardt an die CDU gekettet sahen.

Auch deshalb war der Parteichef nach allgemeiner Auffassung der große Verlierer des Parteitags. Ein ehemaliger Bundesminister sagte: „Das war der Anfang vom Ende von Gerhardt.“ Nicht nur, daß dessen Rede nur mit mäßigem Beifall aufgenommen wurde. Er hatte auch eine schwere Schlappe einstecken müssen, als der von ihm für das Amt des Schatzmeisters vorgeschlagene Paul Friedhoff deutlich gegen Karl-Ludwig Thiele verlor. Mit Friedhoff scheiterte ein Mann, der wie Gerhardt für Bündnistreue zur Union steht.

Auch die Wahl von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ins Präsidum dürfte Gerhardt nicht geschmeckt haben. Selbst das unappetitliche Störmanöver, daß sich Gisela Babel als Ersatzkandidatin bereitstellte, konnte die Wahl der streitbaren Parteilinken nicht verhindern. Für Parteichef Gerhardt, heißt es, wird es jetzt schwerer, sich im Präsidium durchzusetzen. Das Präsidium sei kein „Abnickverein“ mehr.

Programmatisch ist der Vorsitzende durch Westerwelle ohnehin ins Hintertreffen geraten. Der Generalsekretär prägte für seine Partei ein neues Etikett. Es gebe Sozialdemokraten, sagte er, und soziale Demokraten. „Wir Liberalen sind soziale Demokraten.“ Nicht alle Delegierten waren mit dieser Imagekorrektur einverstanden. Der Leitantrag „Liberale Sozialpolitik“ wurde nicht beschlossen, sondern in einen Ausschuß überwiesen. Für eine der Delegierten war das egal, Hauptsache „das erste Ziel ist erreicht: Öffentlichkeit“.

Während Westerwelle eine radikale Steuerreform forderte, prangerte der scheidende Schatzmeister Hermann Otto Solms die schlechte Zahlungsmoral an – der FDP-Mitglieder. 20 Prozent der 67.000 Parteimitglieder bezahlten gar keinen Beitrag mehr. Das verfügbares Vermögen der Bundespartei sei auf 150.000 Mark geschrumpft.