Im Plumpsklo der Marktwirtschaft

Gepflegtes Kuddelmuddel bei den „Jungen Hunden“: Eine ausbleibende „Revolution mit Hund, die zweite“ von Tim Krohn in der Regie von René Harder im TiK  ■ Von Gisela Sonnenburg

Ein solcher Absturz ist selten. In der ersten Viertelstunde mutieren die Zuschauer zu Kichererbsen und Lachbohnen, die Bühnenwelt scheint eine einzige deutsch-deutsche Comedy. Ost und West prallen im Stück aufeinander, und das Bühnenbild von Britta Kloß sieht genauso aus, wie der Osten Deutschlands kurz nach der Wende empfunden wurde: als eine einzige Rutschbahn, auf der Tische und Gestühl schief und krumm wachsen. Auf daß man umfällt.

Margarete, die Geschäftsfrau aus dem Westen – gespielt von Anita Gramser – flattert denn auch wie ein aufgeregtes Huhn durch die Szenerie. Und huscht ins Publikum, wo sie sich bei einer Zuschauerin ein Handy ausleiht. Ihr Lieblingsossi Pudding-Petja (Marcus Reinhardt), der mit Gelatinepulver den Europamarkt erobern will, steht ihr in Überdrehtheit nichts nach, und auch die drei anderen SpielerInnen erhielten offensichtlich von der Regie (René Harder) die Anweisung: „Bitte exaltiert, bitte recht extrem!“ Das ergibt ein herrliches Gehetze und Gekreisch mit quicker Gag-Folge, wobei Absurdes überwiegt. Doch kaum sind die Personen eingeführt, kaum entspinnt sich das, was hier „Handlung“ sein soll, driftet die Aufführung auch schon ab in gepflegtes Kuddelmuddel.

Das mag am schlechten Stück liegen. Autor Tim Krohn, so preisgekrönt wie jung, schnodderte das Drama in schludriger Sprache und ungarer Szenenabfolge herunter. Noch gravierender aber sind die inhaltlichen Mängel. Die Darstellung von Neufünfland nach Mauerfall verlangt Kenntnisse, und das deutsche Einheitsthema ist zwar für jeden Theatermacher eine reizvolle Aufgabe, aber es bissen sich da auch schon ganz andere KönnerInnen als Harder & Co. die Zähne aus.

Insofern ist das Gespann Krohn-Harder nicht allein in seinem Scheitern. Das gänzliche Fehlen von Charakterentwicklung im Text und on stage sowie die fatale Anhäufung von Plattheiten, unfreiwilligen Wiederholungen und innerdeutschen Mißverständnissen, mit denen diese Inszenierung aufwartet, ist allerdings schon beinahe eine Zumutung: Ostler saufen, Westler arbeiten, aha. Da fühlt man sich glatt wie in der DDR, in der bestimmte Witze verboten und andere ästhetisches Diktat waren. Einziger Clou im eintönigen Verbalgerangel der Marke Ego-Krämpfe: Immer wieder durchbrechen die Akteure ihre Rollen, um Theater übers Theater zu machen. Schließlich fällt noch das Stichwort „Hund“ aus dem Titel, bevor Margarete das geliehene Handy zurückbringt. Das Tier sollte bei dem Revolutionsstück mitspielen, fiel aber wegen Republikflucht aus. Kein Köter, keine Revolution, im Grunde auch kein Stück. Am Ende sitzen Petja und Margarete lamentierend beisammen, Ost und West wissen nicht, was sie wollen. Der Bananenrutsch ins neue System machte jedenfalls niemanden glücklich. Drum taucht als Abspann eine Pennerin in abgewetztem Pelz auf und erklärt, der Sozialismus habe noch eine Chance, „wenn nur alle mitmachen.“ Da wittert man halbironische Doppelzüngigkeit: Eine Werbeblase soll das sein fürs linke Theaterpublikum und zugleich eine Referenz ans Kapital, welches weiß, daß eh nie alle mitmachen.

„Die artistische Spielweise des futuristischen Theaters“ versprach das gut gemachte Presseinfo. Mehr noch: „Politisches Theater“. Doch nichts davon in dieser Diplominszenierung eines Hamburger Studenten. Da hilft auch nicht, daß das Stück von Racine und Majakowsky angeregt sein soll. Goethe schrieb über Racine: „Menschlichkeit wird er einflößen, Mitleiden, Zärtlichkeit.“ Das fühlt man hier höchstens für die SchauspielerInnen, die sich ins Zeug legen, als wollten sie sich die Seele aus dem Leib spielen. Nur ist diese Tragiklamotte seelenlos.

Am geistreichsten ist noch ein eingeblendetes, laienhaftes Filmchen von Arne Schröder, das die Hauptpersonen in der Zukunft zeigt: karrieregeil oder verkracht, sektschlürfend oder sexy, je nach Temperament. Petjas Pläne für einen Pudding-Feldzug, so erfährt man darin, wurden restlos abgewickelt und ins Plumpsklo der Marktwirtschaft befördert.

Es bleibt die Erkenntnis, die das Bühnenbild nahelegt, und die schon Wedekinds Marquis von Keith machte: „Das Leben ist eine Rutschbahn.“ Die Frage aber ist, ob und wie man hinab- oder sogar hinaufrutscht. Und da ist die Revolution eindeutig ein Fall fürs – Plumpsklo.