■ Lange hat die 68er Generation die SPD konkurrenzlos beherrscht. Nun richtet sich der Blick nach hinten: Kommt da noch was?
: Das Alte und das Neue

Euch gibt's ja gar nicht, die Jusos kannst du vergessen, wo sind denn die Jungen in der SPD, siehste, gibt's nicht! So hat in den 80ern und 90ern eine besonders ehrgeizige und zahlenstarke Parteigeneration, das heißt die SPD-Kohorten der heute Mittfünfziger, sich die Nachwachsenden vom Hals gehalten – durch Leugnung ihrer Existenz: Mit der Jugend von heute ist nichts los.

Es sind die 68er, die sogenannten Enkel (von Willy Brandt), die als kritische Jusos damals den Marsch durch die Institutionen antraten und heute selbst diese Institutionen so komplett repräsentieren wie keine Generation vor ihnen. Ihr Verdrängungswettbewerb gegen Ältere wie Jüngere war radikal erfolgreich. Seit dem 27. September 1998 (und Lafontaines Rücktritt) sind auch die inneren Ausscheidungskämpfe der Enkelelite abgeschlossen.

Nun gilt es, die Postition zu halten. Das Gesamtgenerationenprojekt (nach dem alten Juso-Slogan „Wir sind die SPD der 90er Jahre“) ist verwirklicht, alle Akteure stehen auf der Bühne, alle Rollen sind verteilt, noch zehn Jahre – maximal – bis zur Rente. Langsam wendet sich der Blick nach hinten: Kommt da noch was?

Allmählich ändert sich die Enkel-Rhetorik gegenüber dem Nachwuchs. Die frühe Thematisierung auf dem Münsteraner Parteitag 1988 (“Eine Partei ohne Jugend ist eine Partei ohne Zukunft“) blieb noch völlig folgenlos; damals wurde mit symbolischem Pomp eine 34jährige Jungsozialistin in den Parteivorstand gewählt. Als sie 6 Jahre später ausschied, war sie immer noch das jüngste Mitglied in dem Gremium. 1997 beschloß dann der Kölner Parteitag eine Art Junge-Leute-Quote: 10 Prozent der aussichtsreichen Listenplätze sollten bei der Bundestagswahl an unter 40jährige gehen. Nun gibt es 36 U-40er in der SPD-Fraktion, gut doppelt so viele wie 1994. Immerhin.

Der Reflex derer, die immer noch lieber unter sich bleiben wollen, tönt jetzt nicht mehr „Euch gibt's ja nicht“, sondern „Ihr wißt doch nicht, was ihr wollt!“ Kann sein. Die Neuen, zwischen 23 und 40, kommen nicht als Paket, sondern jeder für sich. Keine machtvolle Parteijugendbewegung hat sie durchgedrückt, der SPD-Erdrutschsieg half, manch aussichtslos scheinenden Youngster-Wahlkreis zu gewinnen.

Zudem sind die, die jetzt neu kommen, nicht eine, sondern genau genommen zwei politische Generationen. Erstens viele langjährig Juso-Erfahrene aus den 80ern und 90ern, die sich sich als wissenschaftliche Mitarbeiter von den wachsenden Enkel-Administrationen absorbieren ließen. Die zweite Generation ist die noch kleine SPD-Abgeordnetengruppe der unter 30jährigen, die mit den Enkeln wenig zu schaffen hat.

Stellen nun die beiden Nach-68er Generationen in der SPD auch politisch etwas Zusammenhängendes dar? Verbindet sie mehr als ihr Alter?

Unsere universelle Vorbildgeneration von 68 hat ihre Ansprüche mit großen Worten, Posen, Theorien und Illusionen legitimiert. Was legitimiert die heute Jüngeren? Vielleicht ein Gegenentwurf? Interessant! Doch sind nicht längst alle denkbaren politischen Positionen, vom Neoliberalismus über den Pragmatismus, dem Postmodernismus bis zum antirassistischen Feminismus von unseren graumelierten Vorfahren besetzt? Sie lächeln. Eben.

Es nützt nichts, gemeinsamer Bezugspunkt der beiden Nach- 68er Generation ist 68. Aber 68 ist längst historisch geworden, die großen Erfolge sind unumkehrbar: Befreiung von muffigen sozialen Milieus, von allzu engen Familienbanden, von sexuellen Beschränkungen, von den fraglosen Autoritäten in Kirche, Schule und Hochschule, vom Patriarchat (ein bißchen), vom obrigkeitlichen Staat.

Andererseits hat der Individualisierungsschub Nebenfolgen verursacht, die mit den Patenten von 68 nicht zu reparieren sein werden. Wir beklagen eine Zunahme kleiner Fluchten aus der Gesellschaft (in Drogen oder Sekten), fürchten uns vor zunehmender Gewaltbereitschaft und Verwahrlosung in manchen perspektivarmen Ghettos, bemerken einen allgemeinen Schwund des Unrechtsbewußtseins und rücksichtslosen Ellenbogengebrauch. Wir sehen, der radikalliberale Einsatz für noch mehr individuelle „Selbstverwirklichung“ führt keineswegs zu noch mehr Freiheit für alle. Nicht übergroßer Anpassungsdruck ist heute das Problem. Was unsere Gesellschaft kaputtmacht, ist weit eher das Unvermögen, sich überhaupt noch auf einige gemeinsame Maßstäbe zu verständigen.

Diese Kritik mag Gemeinsamkeiten der nachfolgenden SPD-Generationen stiften. Vielleicht reicht es nicht für eine politische Identität. Vielleicht steht uns unser prägendes Generationenerlebnis aber noch bevor: die deutsche Republik von Berlin aus. Vielleicht werden wir, neu in der neuen Regierungsfraktion, Teil der „Generation Berlin“ sein, die der Soziologe Heinz Bude erwartet. Welche politische Erneuerung könnte von einer neuen Generation am neuen Ort ausgehen? Drei Vorschläge.

1. Die Demokratie Jüngeren Sozialdemokraten tritt die Bundesrepublik nicht als postfaschistischer Obrigkeitsstaat entgegen, der zu „entlarven“ wäre. Politik als Protest mag ihre Zeit gehabt haben (oder auch nicht), die jetzige Zeit ist gut für eigene Tüchtigkeit in den Strukturen. SPD-Länderinnenminister, die nichts für freiheitsgefährdender halten als den Staat, den sie selbst vertreten, erscheinen uns kurios. 2. Family values Familie ist, wo Kinder sind. Diese positive Programmformulierung der modernen SPD klingt richtig. Wenn das sozialdemokratisch korrekte Negativbild dazu allerdings die „Mama-Papa-Kind-Trauschein“-Familie sein sollte, wie führende Familienpolitikerinnen nahelegen, dann wäre zu streiten. Daß viele Ehen geschieden werden, daß es immer mehr Alleinerziehende gibt, daß Großeltern, Stiefmütter, Stiefväter, Partner und Lebensabschnittsgefährten den Kindern ein Elternteil ersetzen, heißt nicht, daß das gut sei.

Die Bindekraft der Ehe scheint nach Jahrzehnten ungebrochener Individualisierung schwach geworden zu sein. Wahrhaft progressive Menschen mögen Ehe- und Familienpflichten für spießig halten – kleinen Kindern aber tun Trennungen selten wirklich gut. Deshalb muß der Sozialstaat gerade in den Fällen helfen, wo zum ganzen Familienglück etwas fehlt. Weil die Realität – leider – so ist.

Aber normativ halten wir fest am unspektakulärsten Menschenverband, den es gibt: an der sich selbst helfenden, staatlich verbundenen Kernfamilie – Mama, Papa, Kind, Trauschein. Sie soll nur die Steuern zahlen, die ihrer Leistungsfähigkeit entsprechen; beide Eltern sollen ganz oder in Teilzeit Erziehungsurlaub nehmen können; öffentliche Kinderbetreuungsangebote und verläßliche Halbtagsschulzeiten (wenigstens) sollen Familie, Beruf und gesellschaftliches Engagement vereinbar machen. Das wird teuer, aber wir sollten es uns leisten wollen.

3. Der flexible Mensch? Modernisierung und Flexibilisierung sind für manche, die früher anderen Ideologien folgten, zu einem neuen geistigen Orientierungssystem geworden, das gegenwärtig als schick und neulinks gilt, auch weil Altlinke es heute dazu erklären. Fortschrittlich fanden schon Karl Marx und Friedrich Engels das unbarmherzige Zerreißen der Bande zwischen Mensch und Mensch, wie sie es damals der Bourgeoisie zuschrieben: „Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisieepoche vor allem anderen aus.“ Was immer das dringende Deregulierungsgeschwätz heute sonst sein mag, links, liberal – originell ist es nicht mehr, seit vor 151 Jahren das „Manifest der Kommunistischen Partei“ erschien. Und besonders sozialdemokratisch ist es nach der Abkehr vom wissenschaftlichen Sozialismus eigentlich auch nicht.

Deshalb darf unser Leitbild des 21. Jahrhunderts nicht der voll flexible Mensch sein: mobil und international einsetzbar, ohne familiäre Verpflichtungen und soziale Verantwortlichkeiten, belastbar, nur am Geldverdienen interessiert, heimatlos. Wenn die Anforderungen der Ökonomie nicht mehr mit den Normalbiographien der Erwerbstätigen vereinbar sind, dann liegt der Fehler wohl nicht beim einzelnen, sondern im System. Diese Art Systemkritik – am Primat der Ökonomie – haben wir noch, haben wir wieder vor uns. Hans-Peter Bartels

Die Jung-SPDler kommen heute nicht als Paket, sondern jeder für sich

Der flexible, bindungslose Mensch darf nicht unser Ideal sein