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Apo bittet um Gnade

Abdullah Öcalan erklärt zum Auftakt seines Prozesses seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung und entschuldigt sich bei den Angehörigen der Opfer des Kampfes der PKK. Zwei weitere seiner Rechtsanwälte legen ihr Mandat nieder.  ■ Aus Mudanya Jürgen Gottschlich

Abdullah Öcalan kämpft nicht mehr. Zum Auftakt des „historischen Prozesses“ gegen den Chef der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, auf der Gefängnisinsel Imrali, hat der große Führer seinen Abschied vom bewaffneten Kampf erklärt. „Ich werde ab jetzt für den Frieden und die Brüderlichkeit leben“, sagte Abdullah Öcalan mit versteinerter Miene. Fast wörtlich wiederholte er seine Formulierung unmittelbar nach seiner Gefangennahme im Flugzeug von Kenia in die Türkei: „Ich biete unserem Staat meine Dienste an, um den Frieden wiederherzustellen.“

Abdullah Öcalan, der in einem kugelsicheren Glaskasten, wie in einer Dolmetscherkabine vom übrigen Gerichtssaal abgetrennt, an der Verhandlung teilnimmt, fügte in seiner Erklärung ausdrücklich hinzu, er sei während seiner Gefangenschaft auf Imrali nicht schlecht behandelt worden: „Man hat mich weder gefoltert noch beschimpft oder sonst unter Druck gesetzt.“

Die persönliche Erklärung des PKK-Chefs erfolgte unmittelbar zu Beginn der Verhandlung. Zuerst hatten seine Anwälte allerdings noch einen Versuch unternommen, das Verfahren abzuwenden. Sie beantragten, die Unzuständigkeit des Gerichts festzustellen, da das Staatssicherheitsgericht Ankara, das nun den Prozeß auf Imrali führt, nicht Öcalans „gesetzlicher Richter“ sei. Das Verfahren müsse vielmehr vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir stattfinden, der heimlichen Hauptstadt Türkisch-Kurdistans. Erwartungsgemäß wurde dieser Antrag abgelehnt. Ein anderer, im Vorfeld der Verhandlung weit heftiger diskutierter Antrag auf Vertagung der Verhandlung bis zu einer Reform des Gesetzes über die Staatssicherheitsgerichte wurde dagegen gar nicht gestellt. Statt dessen saß, etwas im Hintergrund, ein vierter Richter auf der erhöhten Bank des Gerichts, der nach Informationen des türkischen Fernsehens einspringen soll, wenn der jetzt beteiligte Militärrichter nach der angekündigten Gesetzesänderung zurückgezogen wird.

Für alle Prozeßbeteiligten, außer Öcalan, begann das Verfahren bereits um 6.30 Uhr am Morgen. Um diese Zeit wurden Öcalans Anwälte an einem Schiffsanleger in Gemlik, ungefähr 30 Kilometer vor Mudanya, vom Militär abgeholt, damit sie nicht die erwarteten Anti-Öcalan-Demonstranten in Mudanya passieren mußten. Von Mudanya aus wurden die Angehörigen gefallener Soldaten, die als Nebenkläger auftreten, zusammen mit ihren Anwälten und einer handverlesenen Schar Journalisten, die direkt am Prozeß teilnehmen durften, abgeholt. Kurz vor 10 Uhr zeigte dann das türkische Staatsfernsehen die ersten Bilder von Öcalan. In einem Gefangenentransporter wurde er zum Gerichtssaal gebracht, dem ehemaligen Kino des Gefängnisses.

Öcalan wirkte unsicher und verschüchtert. Er war sorgfältig rasiert und schien körperlich in guter Verfassung. Beim Reden hielt er die Hände seitlich an der Hosennaht und war sichtlich um ein höfliches Auftreten bemüht. Allerdings gewann seine Stimme während seiner Ansprache deutlich an Festigkeit. Genau wie seine Anwälte bestritt er die Legitimität des Gerichts, da bereits seine Festnahme in Kenia ungesetzlich gewesen sei. Namentlich erwähnte er Griechenland, Rußland und Italien, die seine Festnahme durch ungesetzliches Verhalten ermöglicht hätten. Zum Schluß wandte er sich direkt an die Angehörigen der gefallenen Soldaten und sagte: „Ich empfinde Verantwortung für das, was geschehen ist, und ich entschuldige mich.“

Am Nachmittag begann die Verlesung der Anklage gegen den Mann, der 15 Jahre lang einen blutigen Guerillakrieg gegen die zweitgrößte Mitgliedsarmee der Nato geführt hat. Bereits auf Seite 4 der 136seitigen Anklageschrift kommen die Staatsanwälte zum Wesentlichen: Sie beantragen, Abdullah Öcalan wegen Hochverrats nach Paragraph 125 der türkischen Strafprozeßordnung zum Tode zu verurteilen. Auf 16.000 Blatt Papier wollen die Staatsanwälte dann beweisen, daß Öcalan die PKK gegründet und geleitet hat. Videoaufnahmen des Angeklagten vor seinen Truppen im libanesischen Bekaa-Tal, Aufnahmen aus dem kurdischen Statellitenfernsehen Med-TV und Mitschnitte von Funksprüchen an Guerillagruppen in den Bergen sollen belegen, daß Öcalan direkte Anweisungen an seine Leute gegeben hat und damit letztlich die Verantwortung für die Aktionen der PKK trägt. Insbesondere bezieht sich die Anklage auf ein angebliches Massaker, das die PKK in dem Dorf Baglar begangen haben soll, und den Mord an 33 türkischen Rekruten, die auf dem Weg zurück aus einem Urlaub waren.

Öcalan hat durch seine Anwälte ankündigen lassen, daß er seine Verteidigung auf die verschiedenen Anläufe der PKK aufbauen will, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Seit dem ersten, von der PKK einseitig erklärten Waffenstillstand 1993 habe Öcalan, so sein Verteidiger Niyazi Bulgan, immer wieder versucht, Frieden herzustellen. „Öcalan wollte friedlich Politik machen, wenn man ihn gelassen hätte.“ Auch alle Erklärungen, die Öcalan in den Wochen seit seiner Festnahme in Kenia verbreiten ließ, weisen in diese Richtung. So verurteilte er die Anschläge in Istanbul nach seiner Festnahme und kritisierte die Aktionen der PKK in Europa. Mit seiner gestrigen Erklärung hat er nun endgültig alle Spekulationen um seine Prozeßstrategie beseitigt. Aufgrund der beschränkten Kommunikation zwischen Öcalan und seinen Anwälten – es gab nie ein unüberwachtes Gespräch zwischen Anwälten und Mandant – während der Vorbereitung des Prozesses ist allerdings nach wie vor unklar, ob seine Verteidiger diese Strategie teilen oder ob sie von Öcalans gestriger Erklärung überrascht wurden. Noch während der Verhandlung legten zwei seiner Hauptverteidiger, Hasip Kaplan und Ercan Kanar, ihr Mandat nieder und verließen den Saal. Insgesamt neun Anwälte Öcalans blieben aber im Saal.

Offizielle Reaktionen auf den ersten Prozeßtag gab es gestern nachmittag noch nicht. Ministerpräsident Bülent Ecevit bestätigte nur, daß an einer Änderung der gesetzlichen Grundlage für die Staatssicherheitsgerichte intensiv gearbeitet werde. Zu dem laufenden Verfahren wollte er sich nicht äußern. Die Einwohner Mudanyas waren weniger zurückhaltend. Die meisten wollten von Öcalans Entschuldigung nichts wissen. „Wie kann man sich für 30.000 Tote entschuldigen?!“ erregte sich ein Mann, und ein anderer forderte unter dem Beifall der Umstehenden: „Wir wollen die Todesstrafe!“

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