Liebe zur Geometrie

Strenge Kompositionen: Candida Höfers Fotos menschenleerer Orte im Oldenburger Kunstverein  ■ Von Aureliana Sorrento

Eine Bank ist eine Bank, und ein Safe ist ein Safe. Aus Stahl, glänzend, aseptisch. In der Nähe eines Safes findet das Leben nicht statt, es sei denn in Krimis. Nur mechanisch ausgeführte Nebenhandlungen kann man sich im Tresorraum einer Bank vorstellen: Angestellte im Schlips und Anzug, die über den Teppichboden schleichen, die Geldschränkchen öffnen und sorgfältig wieder schließen. Kein Ton, keine Stimme, kein wirkliches Gesicht. Nur ein Raum, darin Marionetten der Gesellschaft.

Candida Höfer hat den Tresorraum einer Oldenburger Bank fotografiert, wie immer ohne Menschen, ohne Marionetten, ohne Gesellschaft. Seit zwanzig Jahren nimmt die Fotografin menschenleere Orte auf, und sie ist auch in Oldenburg ihrem Ansatz treu geblieben. Das Banktresor-Foto hängt jetzt im Oldenburger Kunstverein mit anderen, die sie in den vergangenen beiden Jahren in Oldenburg, Recklinghausen und Wolfsburg aufgenommen hat. Weitere Fotografien, die aus früheren Reisen stammen, sind im Kunstverein ebenfalls zu sehen, des Kontrastes halber an der gegenüberliegenden Wand aufgehängt. Denn ihre neuesten Aufnahmen hat Höfer mit einer 6 x 6-Kamera realisiert.

Anders als die Kleinbildkamera, die sie bislang verwendete, erlaubt diese eine Totale, welche senkrechte und waagerechte Konstruktionslinien des Raumes gleichermaßen erfaßt. So rückt das Bild näher. Während man bei den kleinformatigen Fotos eher den Eindruck hat, durch ein Fenster in einen Innenraum zu schauen, wird man von diesen quadratischen wandhohen Bildern regelrecht reingezogen. Man steht davor und ist drin: im Tresor einer Oldenburger Bank, auf der Bühne oder in einem Saal des Festspielhauses in Recklinghausen, zwischen den Rohren eines Baugerüstes in München. Da erst wird der Raum ersichtlich. Der Tresor ist vor allem die scharfe Kante, an der die Schrankwände aufeinanderstoßen, das Gittermuster der Safes, das Grau in Grau von Stahl, Teppichboden und Decke. Die Baustelle entpuppt sich als ein Liniengewirr, das auf zwei Fluchtpunkte zuläuft. Im Recklinghausener Saal teilt der Rand eines dunkelgrauen Teppichs Boden und Bild schräg auf und bestimmt so die Verhältnisse aller übrigen Linien zueinander.

Hat die Liebe zur Geometrie die Fotografin gepackt? Candida Höfers jüngste Fotografien sind streng komponiert wie architektonische Entwürfe. Sie lenkt das Augenmerk auf die wesentlichen Formelemente der Räume, die sie porträtiert, schärft den Blick für deren funktionsunabhängige Beschaffenheit. Ein Tresor ist ein Tresor, eine Bank ist eine Bank, eine Bühne ist eine Bühne. In der Geometrie gibt es nur eindeutige Tatsachen. Zugleich sollen ihre Aufnahmen den Betrachter ins Grübeln stürzen. Wie Fußnoten am Rande tauchen darin Details auf, welche das behagliche „So ist es!“ verhindern. Rechterhand schleicht sich in die Tresor-Aufnahme eine runde Rückenlehne ein, bricht die Ordnung der Geraden und sticht schwarz aus dem Grau hervor. Ähnlich wirkt ein Stuhl auf der Bühne des Recklinghausener Festspielhauses. Hier erblickt man eine Tür in der Stellwand, aus der gleich jemand herauskommen könnte. Auf speisende Gäste warten offensichtlich die Tische im Wolfsburger Volkswagenwerk. Ein Stuhl fällt aus der sonst perfekten Reihe. Obgleich menschenleer, sind die Orte nicht von den Menschen befreit. Kurz danach und kurz bevor sie Spielplätze menschlicher Handlungen wurden, hat die Fotografin ihre Fotos geschossen. Eine Atempause der Dinge. Bald wird die steinerne Ordnung durcheinandergewirbelt.

Im Nebenraum des Oldenburger Kunstvereins hat Candida Höfer Fotografien aufgehängt, die sie kürzlich im Oldenburger Naturkundemuseum aufgenommen hat. Während eine Schau zum Thema Moor vorbereitet wurde, suchte die Fotografin Ausstellungsräume und Depots nach dem rechten Blick durch. Sie fand eine gigantische Torfwand und ausgestopfte Tiere. Vom blanken Weiß der Museumswände umgeben, neben grazilen, verzierten Säulen wirkt die Torfwand wie ein unbotmäßiger Riese. Würden nicht Pappenbeläge, Arbeitstische, Eimer, Kabel und Werkzeug rumliegen, wäre der Einschlag ins Surreale schnell vollzogen. In einer anderen Aufnahme paradieren ausgestopfte Vögel auf Schränken, die sich ihrerseits wie Tempelpfeiler gegenüberstehen. Da bewahrt ein provisorisch abgestellter Karton das Bild davor, ins Traumhaft-Mythische abzuheben. Auch in Oldenburg ist es immer nur ein Kleines, das Höfers Kunst an der Grenze zum Absurden doch noch am Boden hält.

Bis zum 13. 6. im Oldenburger Kunstverein. Katalog: „Candida Höfer: Photographie“, im Verlag Schirmer Mosel erschienen, 35 DM in der Ausstellung, 78 DM im Buchhandel