„Nicht unmenschlich, aber menschenunwürdig“

■ Während in Bosnien die meisten Lager noch mit Binnenflüchtlingen belegt sind, drängen immer mehr Menschen aus dem Kosovo ins Land. Die Zustände in den Lagern sind schlecht

Auch nach Bosnien kommen immer mehr Flüchtlinge aus dem Kosovo. Nach offiziellen Angaben des UNHCR leben dort momentan 21.700 KosovarInnen, die seit Beginn der Bombardierungen Ende März geflüchtet sind. Außerdem halten sich in Bosnien nach Angaben der Weltflüchtlingsorganisation 22.000 Muslime aus Sandzak auf, eine Region in Serbien an der Grenze zu Montenegro, die vor allem von Muslimen besiedelt ist. 10.000 KosovarInnen sind bereits vor Beginn des Krieges nach Bosnien geflohen. Das ist allein die Zahl der registrierten Flüchtlinge. Die wirkliche Zahl könne, so der deutsche UNHCR-Sprecher Stefan Telöken, „um einige tausend höher sein“. Die bosnische Regierung spricht sogar von insgesamt 83. 000 Flüchtlingen. Und für die nächsten Wochen werden noch viele Neuankömmlinge erwartet.

Die Unterbringung in Lagern ist für die bosnische Regierung sehr schwierig, denn der Wohnraum ist allgemein knapp: Rund 750.000 Binnenflüchtlinge aus der Zeit des Bosnien-Krieges, leben immer noch nicht an ihrem ursprünglichen Heimatort. Die wenigen Lager des Landes sind zumeist mit jenen Binnenflüchtlingen besetzt.

Hartwig Berger, bündnisgrüner Landtagsabgeordneter aus Berlin hat vor drei Wochen ein kosovarisches Flüchtlingslager besucht, das in der Nähe der Kleinstadt Bosanski Petrovac im Nordwesten Bosniens liegt. Dort leben derzeit 1.000 KosovarInnen, viele von ihnen sind bereits vor der Bombardierung der Nato Ende März geflohen. In den nächsten Wochen werden in Petrovac weitere 3.000 Flüchtlinge erwartet. Zur Zeit leben in dem Städtchen 8.000 Menschen, in der Mehrheit bosnische Binnenflüchtlinge.

„Das Leben dort ist nicht unmenschlich, aber menschenunwürdig“, beschreibt Berger das Lager, das in einem nicht mehr bewohnten, weil verminten Gebiet, 30 Kilometer von Bihac entfernt, liegt: Die Menschen lebten hier auf engstem Raum, zum Teil bis zu 80 Flüchtlinge in einer Holzbarakke. In dem Lager gebe es nur wenige Duschen und Toiletten, die meisten davon seien auch noch kaputt oder verstopft. Die Ernährung sei zwar ausreichend, Frischnahrung gebe es jedoch nur wenig. So bekommt jeder Bewohner im Monat anderthalb Liter Speiseöl und zwei Kilo Fleischkonserven, aber überhaupt kein Obst und Gemüse. „Der Ausbruch von Krankheiten ist nur noch eine Frage der Zeit“, befürchtet Berger, der von dem Berliner Verein „Keine Mauer durch Sarajevo“ gespendete Bettwäsche, Kühlschränke und Kochherde in das Lager brachte.

Als „Taschengeld“ bekommen die Flüchtlinge von der bosnischen Regierung 15 Mark im Monat. Viele von ihnen versuchen jedoch in dem fünf Kilometer entfernten Städtchen ein wenig Handel zu treiben – mit Spendenmitteln. Die LagerbewohnerInnen würden sich bei eintreffenden Hilfstransporten auf die Kisten stürzen und soviel wie möglich mitnehmen, egal ob sie es benötigten oder nicht, hat Berger beobachtet. An kleinen Ständen am Randes des Marktes in Petrovac bieten sie dann kistenweise gezukkerte Kondesmilch aus Spanien oder Shampoo und Seifen aus Aldi-Beständen an, erzählt Berger. Auch gebrauchte Kleidung aus Spendenbeständen werde verkauft. Die Ware sei wesentlich billiger als die, die Bosnier verkauften, sagt der grüne Abgeordnete, der schon mehrere Male Bosnien besucht hat. Mit der Dumping-Ware erzeugten die Flüchtlinge Mißgunst bei vielen bosnischen Händlern, die Angst um ihre Geschäfte hätten. Berger ruft deshalb zu zielgerichtetem Spenden auf. Am sinnvollsten sei Bargeld, mit dem dann Dinge erworben würden, die die Flüchtlinge wirklich bräuchten.

Auch in Sarajewo ist die Lage der kosovarischen Flüchtlinge nicht besonders gut. Dort leben in einer Fabrikhalle zur Zeit 630 Menschen. In Mostar werden in den nächsten Wochen laut UNHCR 25.000 Flüchtlinge erwartet. Dort sollen jetzt mehrere Großlager gebaut werden. Der Verein „Keine Mauer durch Sarajevo“ führt gemeinsam mit der Deutschen Ärztegemeinschaft und der jüdisch-multiethischen Wohlfahrtsorganisation LA Benevolencija Hilfstransporte für Kosovo-Flüchtlinge in Bosnien durch. Spenden-Konto: 64 00 23 983 bei der Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00) Julia Naumann