Wenn Liberale plötzlich zu den Waffen rufen

■ Die Kosovo-Debatte sprengt die Grenzen der politischen Lager in den USA

„Das entflammte Gewissen eines Liberalen ist eine Massenvernichtungswaffe“, schreibt Elliott Abrams, der in den 80er Jahren prominenter Außenpolitiker unter Ronald Reagan war, in der konservativen Zeitschrift National Review. Unter der Überschrift „Seltsame Bettgenossen“ grübelt er über die neue Unübersichtlichkeit in der US-amerikanischen Debatte über den Kosovo-Konflikt. Interventionisten vom Schlage eines Henry Kissinger stehen dem Krieg entweder skeptisch gegenüber oder wundern sich über den Zulauf der „Tauben“ von gestern. Der Soziologe Ben Frankel, Herausgeber der Security Studies, erklärt das Phänomen ähnlich wie Elliott Abrams, wenn auch nicht mit dessen infamer Metapher: „Liberale Intellektuelle wie (die bekannten Journalisten, Red.) Richard Cohen, Robert Kagan und Anthony Lewis stimmen erstmals einer US-Intervention zu, weil es im Kosovo, anders als in Vietnam oder im Golf, nicht um wirtschaftliche oder geopolitische Interessen, sondern um universelle Ideale geht. Da treffen sie sich mit Rechtsintellektuellen wie Bill Kristol und Norman Podhoretz, für die amerikanische Werte schon immer die universellen waren.“

Diese unerwarteten Allianzen zwischen Liberalen und Konservativen heben allerdings die Widersprüche zwischen Realisten und Idealisten unter den außenpolitischen Denkern nicht auf. Leute wie Elliott Abrams und Henry Kissinger möchten militärische Einsätze von jeder „humanitären Sentimentalität“ trennen und werfen Clinton vor, im Kosovo „internationale Sozialarbeit mit militärischen Mitteln“ zu betreiben, statt auf das Primat nationaler Interessen zu achten.

Wem die Debatte der Intellektuellen zu unübersichtlich ist, hat sich aber noch nicht mit der Beschlußlage im US-Kongreß befaßt. Leser einer Jugendzeitschrift aus dem Universitätsstädtchen Syracus im Bundesstaat New York wurden gefragt: Der Kongreß in Washington hat: a) seine überwältigende Unterstützung für US-Truppen in Jugoslawien bekundet, b) die Beteiligung der USA am Kosovo-Krieg verurteilt, c) Präsident Clinton das Doppelte der von ihm für die Führung des Krieges beantragten Mittel bewilligt, d) die Verwendung der für den Kosovokrieg bewilligten Mittel für die Kriegführung dort untersagt.

Hätten Sie's gewußt? Richtig sind alle vier Feststellungen. Daß das Repräsentantenhaus ein Tollhaus sein kann, weiß man spätestens seit der Inszenierung der Impeachment-Oper. Dissens oder Zustimmung zur US-Politik im Kosovo ist Gegenstand der Dauerfehde zwischen der Mehrheit der republikanischen Clinton-Hasser und dessen Unterstützern in der Demokratischen Partei geworden. Die Diskussion um den Krieg wirkt dabei oft wie die Fortsetzung des Impeachments mit anderen Mitteln. Auch diesmal ist es nicht der Kongreß, der die Leidenschaften der Volksmassen durch die parlamentarische Beratung kühlerer Köpfe bricht, sondern die öffentliche Meinung zeichnet sich durch Augenmaß aus.

Einige Umfragen signalisieren zwar ein Nachlassen der Unterstützung für den Bombenkrieg sowie eine Ablehnung des Einsatzes von Bodentruppen. Aber: „Es kommt darauf an, wie man die Fragen stellt“, erklärt Stephen Kull, Direktor des Program on International Policy Attitudes, das sich mit der Haltung der US-Bevölkerung zu außenpolitischen Fragen beschäftigt. „Fragt man zum Beispiel, ob der Einsatz von Bodentruppen befürwortet wird, bekommt man mehrheitlich eine ablehnende Antwort. Fragt man aber so: 'Sollte die politische Führung Ihnen den Einsatz von Bodentruppen als derzeit einzige Möglichkeit darstellen, Miloevic' ethnische Säuberung aufzuhalten, wären sie dann bereit, einen Landkrieg zu unterstützen?‘ dann steigt die Zustimmung zum Einmarsch der Nato in Jugoslawien auf 60 %.“ Auch wenn man die Befragten darauf aufmerksam macht, daß ein Krieg Opfer fordert, und nachfragt, ob die befürwortende Haltung die ersten Fernsehbilder von der Überführung gefallener US-Soldaten übersteht, sinkt die Rate der Unterstützer nur unwesentlich.

„Die US-Bürger schreien nicht gerade nach einer Ausweitung des Kriegs“, faßt Stephen Kull die Ergebnisse seiner Untersuchung zusammen, „sie sind aber bereit, ihn als notwendiges Übel zu akzeptieren, sollte Präsident Clinton dies überzeugend begründen.“

Peter Tautfest, Washington