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■ Filmstarts a la carteOhne verlogene Sentimentalität

Er war kein Regisseur der großen Themen. Lieber schilderte Jacques Becker in seinen Filmen detailgetreu die verschiedensten Milieus – von der Arbeiterklasse über die Künstler-Boheme bis zum Großbürgertum. Seine Figuren charakterisierte er vornehmlich durch präzise Gesten und durch die genaue Auswahl von Kostümen und Dekors; gern hielt sich Becker bei den Kleinigkeiten und den vermeintlich unwichtigen Dingen auf, leistete sich Abschweifungen von der eigentlichen Handlung. In seinen Filmen stimmte, wie man so sagt, die Atmosphäre. Zweistundenfilme über Fünfzehnminutenthemen habe Becker gemacht, schrieb Francois Truffaut einmal und meinte das als Kompliment. In „Antoine et Antoinette“ (Zwei in Paris) ist bereits die Hälfte des Films vorbei, ehe sich Becker zum eigentlichen Kern des Plots vorgearbeitet hat: Ein junges Ehepaar aus dem Arbeitermilieu gewinnt in der Lotterie eine stattliche Summe, verlegt jedoch vorübergehend das große Los. „Antoine et Antoinette“ ist vor allem eine genaue Schilderung des Lebens im Nachkriegs-Paris, wo ein kaputtes Fahrrad bedeuten kann, daß man nicht weiß, wie man zur Arbeit kommen soll, und wo man beim Abendessen überlegt, ob der Camenbert nicht besser für die Frühstücksbrote aufgehoben werden sollte. Becker zeigt Episoden aus dem Arbeitsleben (nörgelnde Vorgesetzte, Frotzeleien unter Kollegen), und beschreibt das Viertel, in dem das Ehepaar lebt, ohne falsche Sentimentalität. Die Nachbarn kennen einander, helfen sich auch gern einmal aus – doch selten aus purer Menschenfreundlichkeit: Eine Hand wäscht die andere. Die mit Hilfe des französischen Kulturinstitues CICIM-München zustandegekommene Reihe mit sechs Filmen von Jacques Becker läuft noch bis zum Ende des Monats im Filmkunsthaus Babylon.

„Antoine et Antoinette“ (Zwei in Paris) (Om engl UT) 4.6.- 5.6. im Filmkunsthaus Babylon

Seit langer Zeit schon ist der amerikanische Filmsammler Jan Wahl dem Arsenal-Kino eng verbunden und präsentiert Jahr für Jahr einige filmhistorische Kostbarkeiten aus seiner Kollektion. Diesmal unter anderem im Gepäck: Cecil B. DeMilles „Male and Female“ (1919), eine Verfilmung des Stückes 'The Admirable Crichton' von J.M. Barrie, in der eine britische Aristokratenfamilie auf einer einsamen Insel strandet und sich als ausgesprochen lebensuntüchtig erweist. Nur der Butler findet sich zurecht, und so tauscht man die Rollen. Gloria Swanson, damals der große neue Star in den Filmen DeMilles, spielt die Lady Mary.

Male and Female 4.6.; Filme aus der Sammlung von Jan Wahl 3.6.-5.6. im Arsenal

Im begleitenden Filmprogramm zur Ausstellung „Einigkeit und Recht und Freiheit. Wege der Deutschen 1949-1999“ liegt ein Schwerpunkt auf der Reihe 'Fernsehspiele von ARD und ZDF'. Am kommenden Mittwoch wirft Egon Monk in dem 1964 entstandenen „Wilhelmsburger Freitag“ einen Blick auf die bundesdeutsche Wirklichkeit jener Jahre: Ein junges Ehepaar fühlt sich in seinem angepaßten Leben unglücklich... Regisseur Egon Monk wird eine Einführung zum Film halten.

„Wilhelmsburger Freitag“ 8.6. im Zeughauskino im Martin-Gropius-Bau

Lars Penning

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