Ziel: Die totale Vernetzung

Manager diskutieren neue Technologien: Internet verändert die Wirtschaft radikal, Informationen sind wichtiger als materielle Werte  ■   Aus St. Gallen Thorsten Denkler

St. Gallen (taz) – In Bierde hat die Zukunft schon begonnen. In dem kleinen niedersächsischen Dorf können die rund 380 Einwohner Wurst und Käse jetzt an einem Terminal bestellen. Seit fünf Jahren gab es in Bierde kein Geschäft mehr. Jetzt geht die Bestellung online an einen Edeka-Laden im Nachbarort, und nachmittags wird die Ware frei Haus geliefert.

Ortswechsel: St. Gallen. Mit 80.000 Einwohnern etwas größer als Bierde. Hier saßen bis gestern die Macher der Zukunft beim „29. internationalen Management-Symposium“ der Universität St. Gallen beisammen. Thema: Neue Technologien, neue Märkte, neue Anforderungen. Die Wirtschaftsfürsten sehen einen ungeahnten Wachstumsmarkt: Allein 1998 soll im Online-Busineß 32 Milliarden Dollar umgesetzt worden sein. Das sei nur eine Schätzung, betonte Franz Nawratil, Hewlett-Packard-Vorstand, denn bei 6.500 neuen Internet-Seiten pro Stunde verliert man schnell den Überblick. Weltweit nutzen rund 97 Millionen Menschen das Internet regelmäßig, Tendenz steigend. Nawratil sagt die „Post-PC-Ära“ voraus. Das Data-Center „unter dem Arm“ sei die Zukunft. Ziel ist die totale Vernetzung. Auf jeden Menschen werden 1.000 Computer kommen, die sich in Toastern, Bügeleisen, Autos und Fernsehern verstecken. „Warum“, fragt Nawratil, „geben wir nicht jedem Auto eine Homepage mit allen für den Besitzer relevanten Informationen.“ Das Auto könne sich dann selbst in der Werkstatt anmelden und eines Tages auf dem programmierten Weg dorthin selbst fahren – wenn der Kunde es so wolle.

Das Gold liegt auf den Datenautobahnen, und es scheint, die Unternehmen müßten sich nur noch bücken. Aber gerade da hakt es bisweilen. Wer die Veränderung scheut, so die einhellige Meinung auf dem Symposium, werde den kommenden Konkurrenzkampf nicht überleben. Die Voraussetzung für Veränderung sei Wissen. Keiner wurde so oft zitiert wie der Shell-Manager Arie de Geus: „Die Fähigkeit, schneller und besser zu lernen als die Konkurrenz, ist künftig der einzige dauerhafte Wettbewerbsvorteil.“

Peter Quadri, der Schweizer IBM-Chef, sieht am Ende ein Unternehmen entstehen, das sein gesamtes Management- und Vetriebssystem in kürzester Zeit neuen Anforderungen anpassen könne. Keine festen Teams mehr, sondern Projektgruppen, die sich für kurze Zeiträume in virtuellen Büros treffen, das sei die Struktur der Zukunft. Dabei spielt die räumliche Distanz keine Rolle mehr. Gleichzeitig profitieren Kunden durch besseren Service. Rückholaktionen etwa könnten über den Datenhighway effektiver und mit weniger öffentlichem Aufsehen vollzogen werden.

Diese neuen Unternehmen stellen auch andere Anforderungen an ihre Mitarbeiter. Gut zu sein, sagt Gilbert Probst, Direktor der Genfer Universität, sei nicht mehr gut genug. Und schnell zu sein, nicht mehr schnell genug. Wichtig sei die Fähigkeit, im Team Wissen zu mobilisieren und zu vernetzen. Walter Kielholz, Chef der mächtigen „Schweizer Rückversicherung“, hält die Fähigkeit, Wissen zu erlangen, für eine der wesentlichen Schlüsselqualifikationen. Das Wissen eines Unternehmens müsse deshalb nicht an eine Person gebunden, sondern dokumentiert und jederzeit abrufbar sein. Schließlich werde das intellektuelle Kapital wichtiger als die materiellen Güter einer Firma. Beste Beispiele seien die hohen Börsennotierungen virtueller Internet-Firmen. Hinter Namen wie der Suchmaschine Yahoo! oder dem Online-Buchhändler amazon.com stünden keine teuren Immobilien oder andere materielle Werte. Die Anleger honorierten allein das Know-how dieser Unternehmen und die damit erzielten Umsätze.

Alle waren sich einig: Das Internet wird die Welt stärker verändern, als heute absehbar ist. „Alles, was wir tun können, ist, möglichst schnell die Strömungen und Tendenzen zu erkennen“, sagt ein Teilnehmer. Wer das nicht schaffe, habe schon verloren.