Experementierfreude adé

■ Das Junge Theater setzt mit der Inszenierung von Stephen Kings Klassiker „Misery“ auf die Sogwirkung eines auch durchs Kino allseits bekannten Titel

Erst vor wenigen Tagen war hier die Inszenierung von Ariel Dorfmans „Der Tod und das Mädchen“ durch eine freie Bremer Theatergruppe zu besprechen. Schon heute stellt sich das gleiche Problem. Wie das Chinelo-Theater mit dem Dorfman-Stück, setzt jetzt auch das Junge Theater mit seiner neuen Produktion auf eine bekannte, ebenfalls verfilmte Vorlage: Simon Moores Bühnenfassung von Stephen Kings Psychothriller „Misery“. Das Schielen auf Quote mag dabei – in dieser Jahreszeit voller Biergärten und leerer Theater zumal – eine Rolle gespielt haben. Aber ohnehin ist an der Stückauswahl des durch die Kulturbehörde notorisch zu kurz gehaltenen Jungen Theaters nicht mehr zu erkennen, was Wollen ist und was Wollen sollen. Experimentierfreude ist – nicht nur beim Jungen Theater – out. Der Titel muß schon ziehen.

Wie die Theater brauchen auch Stars ihre Fans. Doch die ganz fanatischen ihrer VerehrerInnen lehren sie das Fürchten. Paul, der erfolgreiche Autor kitschig-romantischer Bücher, macht nach einem Unfall in einem verschneiten Gebirge die Bekanntschaft mit seinem weiblichen „Fan Nummer eins“. Sie heißt Anni, lebt zurückgezogen auf einer kleinen Farm und nimmt den schwer verletzten Schriftsteller bei sich auf. Paul ist ihr vollkommen ausgeliefert. Verehrung und Haß liegen bei Anni nur wenige Millimeter auseinander. Als tyrannische Pflegerin zwingt sie ihn dazu, nur für sie einen neuen Roman seiner „Misery“-Reihe zu schreiben.

Auf der nur mit den nötigen Utensilien ausgestatteten Raumbühne spielen Marion Freundörfer und Mateng Pollkläsener die gefährliche Affaire. In einem kleinen Prolog läßt der kurzfristig in die Produktion eingesprungene Pollkläsener den Coolen raushängen und zeigt damit, wie gut er eine Karikatur ganz nah am Abgrund spielen kann. Im weiteren Verlauf der über zweistündigen Aufführung stellt er den quasi an Bett und Rollstuhl gefesselten Paul als oft schreiendes und angsterfülltes Opfer dar, das sich erst langsam zum Streuen kleiner Bosheiten aufrafft. Pollkläseners bremisch breiter Slang verleiht der Inszenierung eine komische Note und paßt im Kontrast zu Marion Freundörfers bayerischem Zungenschlag ins mundartliche Gefüge. In ihrer Darstellung der Anni braucht die schon in der bemerkenswert guten „Präsidentinnen“-Inszenierung positiv aufgefallene Marion Freundörfer den Vergleich mit der Film-Anni Kathy Bates nicht zu scheuen. Sie spielt die Anni als gefährlich lachenden und noch gefährlicher zuschlagenden verschrobenen Zausel, dem man wirklich nicht zu nahe kommen will.

Aber mit dem Wort „Vergleich“ kommt auch schon das Stichwort für das Problem dieser Inszenierung. Außer einer leicht anderen Zeichnung der Figuren und einer Diaprojektion, die Anni und Paul im Gegensatz zur „Realität“ als turtelndes Pärchen zeigt, deutet Sybille Linkes Einstudierung nichts bisher Unentdecktes in die Theaterfassung hinein und weicht nur unwesentlich von der Verfilmung ab. Das ist auch kaum möglich. Denn selbst ein guter Thriller wie „Misery“ lebt von der Zuspitzung und Spannung der – für die ZuschauerInnen am besten noch unbekannten – Handlung. So wird dieses Sommertheater „Misery“-Neulinge gut unterhalten, obwohl die Inszenierung temporeicher sein könnte. Wer den Film kennt, wird sich dagegen oft langweilen. Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 4., 6., 9., 10., 12. und 13. sowie 16. bis 20. Juni um 20.30 Uhr