Zivilisierte Einsamkeit

■ Nico and the Navigators zeigen ihre zweite Produktion, „Lucky days, Fremder!“

Da stehen sie und können nicht anders. Blasse, korrekt gekleidete Menschen, deren Sehnen nach nichts geht als dem Vollzug der nächsten Geste. Ganz langsam, gleitend und ohne einander anzusehen, winkeln sie ihre Beine ab, heben eine Hand oder rucken mit dem Kopf. Nichts ist damit erreicht, aber ein So-Sein ist demonstriert, in einer Welt, die den einzelnen nur noch als ikonographisches Fragment zuläßt. Dazu Krähengekrächz und Musik, von Tango bis Kunstlied.

„Lucky days, Fremder!“ heißt die zweite Produktion der Gruppe Nico and the Navigators, die am Mittwoch in den Sophiensälen Premiere hatte. Daß die 32jährige Regisseurin Nicola Hümpel Bühnenbild studierte und in Produktionen von Achim Freyer mitwirkte, sieht man der Sache an. Eher als eine In-Szene-Setzung ist es eine Installation: fünf Schauspieler auf rotem Linoleum vor und an einer grünen Wand, deren Kassettenoptik vielerlei räumliche Möglichkeiten birgt.

Den körperlichen Gesten folgen bald verbale. Hübsche Textbauteile wie „Es ist Frühling, bitte melde dich!“ oder „Textverarbeitung, über Jahre hinweg“. Auch beginnen die Schauspieler Raum zu greifen, verschwinden hinter der Wand und kommen mit Requisiten wieder hervor, einem Plastikeimerchen etwa oder einem Holzspielzeug. „Er ist jetzt nicht mehr erreichbar“, sagt ein Darsteller, der mit einer Kinderschubkarre vorbeieilt, später heißt es „Edith, die Apotheker kommen.“

Von ihrem starren Dasein als Sozial-Lemuren gleiten die Figuren auf diese Weise allmählich ins elastischere Reich der Zwangsvorstellungen über und können vorsichtig beginnen zu kommunizieren, was aber auch nur heißt: sich einmal kurz anbrüllen oder abgewendeten Blickes nach einander tasten. Zu mehr reicht es nicht, und auch das Wenige wird durch Blacks und Filmeinblendungen, die ein verwischtes Irgendwo zeigen, immer wieder in Frage gestellt. „Lucky days, Fremder!“ ist eine Skizze über die zivilisierte Einsamkeit. Mit absurdem Charme und in akkurater Leichtigkeit dargeboten, aber auch etwas mühsam im Vollzug. Denn die Vergeblichkeit steht von vornherein fest. Keiner wird dem Dasein vor der Kassettenwand entkommen, weder durch das Abseilen an rotkarierten Hemden, noch durch die Flucht in einer riesigen Plastiktüte. Ohne Sportsgeist wird die Herausforderung in mimische Starre überführt, unfrohes Lachen oder demonstrative Ignoranz. Es ist ein Endspiel ohne Hoffnung. Ein Verlöschen ohne vorheriges Leuchten. Petra Kohse

Bis 9. 6., 20 Uhr, Sophiensäle, Sophienstr. 18

„Er ist jetzt nicht mehr erreichbar“, sagt ein Darsteller, später heißt es „Edith, die Apotheker kommen“