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Ihr Vater war Hitlers Regisseur

Nach sechs Jahren anerkannter Arbeit gegen Fremdenfeindlichkeit im Land Brandenburg geht Hilde Schramm in den Ruhestand. Ganz zur Ruhe wird sie sich aber nicht setzen  ■   Von Marina Mai

Das Bundesland Brandenburg gilt immer noch als Zentrum rechtsextremer Gewalt. Immer wieder geraten kleine, sonst unbekannte Dörfer in die Schlagzeilen, zuletzt durch die tödliche Hatz auf einen Algerier in Guben im Februar oder Ende März, als Rechtsradikale einen Libanesen in Schwedt mit einem Messer lebensgefährlich verletzten.

Dabei weist die amtliche Statistik seit über einem Jahr für Berlin mehr rechte Gewalttaten auf als für Brandenburg. Legt man zugrunde, daß sich die Gewalttaten in Berlin etwa zur Hälfte in zwei Bezirken abspielen – Lichtenberg und Treptow –, so ist das hauptstädtische Pflaster an einigen Ekken für Fremde weit gefährlicher als das Berliner Umland.

Daß es in Brandenburg inzwischen ein öffentliches Bewußtsein für die Rechtsradikalen gibt, ist unter anderem ein Verdienst von Hilde Schramm, die bis zur vergangenen Woche die dortige Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA) leitete.

Die heute 62jährige Hilde Schramm, der man ihr Alter nicht ansieht, hatte die Aufgabe 1993 als Wunschkandidatin der Brandenburgischen Ausländerbeauftragten Almuth Berger übernommen und im Laufe der Jahre Arbeitstellen in ganz Brandenburg mit höchst unterschiedlichem Profil geschaffen: In Potsdam kümmert man sich um interkulturelle Arbeit in Kitas und Schulen, in Angermünde um eine Gegenkultur zur stark dominanten rechten Jugendszene in der Uckermark und in Storkow um Vietnamesen und Bosnier. Die Mitarbeiter leiten Projekttage an Schulen, erarbeiten Material für die Lehrerweiterbildung oder sind in der Sozialberatung von Ausländern tätig.

Hilde Schramm regte dieProjekte an, organisierte die Gelder dafür und vernetzte die Projekte miteinander. Jüngstes Kind der RAA sind die mobilen Einsatztrupps gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit, die märkische Kommunen, Schulen und Sportvereine seit dem vergangenem Herbst beim Umgang mit rechter Gewalt und Jugendkultur beraten.

Heute erkennt Schramm mit Wohlwollen an, daß die Brandenburger Landesregierung rechte Tendenzen endlich ernst nimmt, nachdem sie sie lange ignoriert habe. Mit einem im vergangenem Jahr ins Leben gerufenem Aktionsprogramm „Tolerantes Brandenburg“, das auf beharrlichen Druck solcher außerparlamentarischer Initiativen wie der RAA, aber auch der Wirtschaft, die um den Standort Brandenburg bangte, ins Leben gerufen wurde, gibt das Stolpe-Kabinett zu, daß es ein Problem in puncto Gewalt und Fremdenfeindlichkeit hat, schweigt die Ereignisse nicht mehr tot. Im Gegenteil: Bei rechten Übergriffen eilen Minister eigens zu den Orten des Geschehens und machen sich zu Sprechern einer Gegenöffentlichkeit.

Sich um den Abbau von Fremdenfeindlichkeit zu kümmern war Hilde Schramm nicht in die Wiege gelegt. Ihr Vater war kein geringerer als Albert Speer, Hitlers Architekt der Reichshauptstadt, sein Regisseur von Massenaufmärschen und späterer Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion. Der allgegenwärtige Vater, von dem sie sich später mühevoll hatte abnabeln müssen, sei Speer nie gewesen, beteuert Hilde Schramm, der das Thema unangenehm ist: „Mein Vater war doch nie zu Hause.“ Vor 1945 war er mit Staatsgeschäften betraut, in den Nürnberger Prozessen 1946 wurde er zu 20 Jahren Haft verurteilt. Als er die Zeit abgesessen hatte, hatte die Tochter längst eine eigene Familie gegründet und stand mit beiden Beinen im Leben. Obwohl Hilde Schramm kaum verbal ihren Vater kritisiert, kann sie sich kaum deutlicher von dessen Werten distanzieren: Sie lehnte das von ihren Eltern geerbte Geld, die Bilder und andere Wertsachen ab und steckte es in eine Stiftung, mit der diejenigen unterstützt werden, die ihrem Vater als Untermenschen galten: jüdische Frauen. Die Stiftung „Zurückgeben“ gründete sie gemeinsam mit anderen bereits 1993, als die Diskussion über geraubtes Eigentum, die heute im vollen Gange ist, noch kaum stattfand.

Die Erziehungswissenschaftlerin begann ihre Laufbahn 1972 an der Freien Universität. Dort habilitierte sie sich 1982, doch eine passende Professur fand sich in Berlin nicht. Über die Friedensbewegung kam sie 1985 für die Grünen ins Berliner Abgeordnetenhaus. Für zwei Jahre, denn damals galt bei den Grünen das Rotationsprinzip. 1989 wurde sie für zwei Jahre erneut Abgeordnete.

Als hochschulpolitische Sprecherin erwarb sie sich über die Fraktionsgrenzen hinweg Anerkennung. Hilde Schramm, eine der Autorinnen des Berliner Hochschulgesetzes, galt als enorm sachkundig, zielstrebig und zäh, aber auch als ruhig und ausgeglichen. Neben der Hochschulpolitik hat sie sich mit Erfolg um gesetzliche Verbesserungen für die bis dahin vergessenen NS-Opfer gekümmert. Weniger anerkannt war sie als Vizepräsidentin des Parlamentes „Sie hat sich nie die Mühe gemacht, die Geschäftsordnung des Parlamentes zu lernen“, erinnert sich ihr Fraktionskollege Bernd Köppl. Wie ein Hühnerhaufen sei das Hohe Haus unter ihrer Regie auseinandergelaufen. Ende 1990 hat sich Hilde Schramm nicht um ein neues Parlamentsmandat beworben. Sie habe darunter gelitten, daß es ihr nicht gelungen war, die Abwicklung der DDR-Wissenschaft zu verhindern.

Heute nimmt sie sich mit Äußerungen über die DDR zurück. „Wenn ein Referat über die Wurzeln rechter Überzeugungen und Verhaltensweisen in der DDR gefragt ist, bitte ich eine Ostkollegin darum“, sagt sie. Die könne glaubhafter darüber sprechen. Daß es solche Wurzeln gibt, steht für Hilde Schramm hingegen außer Frage. „Die sehe ich in nicht liberalen Strängen in der DDR-Erziehung und in geringen Erfahrungen im Zusammenleben mit Ausländern.“ Aber auch die Entwertung von Biographien nach der Wende habe dazu beigetragen, daß sich viele Menschen auf nationale Werte beziehen, ist Hilde Schramm sicher.

In der letzten Woche übergab sie nun ihr Amt an Annegret Ehmann, bisherige pädagogische Leiterin des Hauses der Wannseekonferenz. Doch zur Ruhe setzen will sich Schramm nicht: „Ich werde ehrenamtlich über Rechtsextremismus arbeiten.“

Ihre Eltern hätten ihren Lebensweg übrigens später akzeptiert, sagt sie noch. „Es waren eher Äußerlichkeiten, die sie störten. Meiner Mutter gefiel meine sparsame Wohnungseinrichtung nicht. Sie wollte mir immer einen Teppich schenken.“ Als sollte sie damit auf den Boden der elterlichen Realität zurückkommen.

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