„Nur nicht mehr rumsitzen“

■ Als Illegaler lebt es sich schlecht/ Ein taz-Gespräch mit dem Togoer Abass A.

Seit elf Monaten ist der Togoer Abass A. untergetaucht. Der abgelehnte Asylbewerber sollte im vergangenen Jahr, kurz nach seinem 18. Geburtstag, aus Bremen abgeschoben werden. Sein Bruder Ibo lebt noch legal in der Hansestadt – weil Uno-Konventionen die Abschiebung von Minderjährigen nicht zulassen. Mehrmals hatten SchülerInnen sich mit Demonstrationen für ein Bleiberecht der beiden Brüder eingesetzt. Bislang vergeblich. Mehr als eine – mittlerweile unter Protest zurückgegebene – Auszeichnung für ihr Engagement erreichten sie nicht. Die taz sprach mit dem untergetauchten Abass.

taz: Vermißt du Ibrahim, deinen Bruder?

Abass A.: Sehr. Und nicht nur Ibrahim. Ich vermisse viele Leute. Es ist nicht wie früher.

Wie in Togo?

Nein, wie in Bremen. Manchmal gehe ich ins Bett und schlafe nicht. Manchmal weine ich. Aber ich habe keine Wahl. Ich möchte in die Schule; ich hätte in einem Jahr meinen Hauptschulabschluß gehabt. Mein Lehrer meinte, ich schaffe das hundertprozentig. Ich bin nicht schlecht. Also: ich bin schlecht (lacht), aber ich hätte alles versucht. Jetzt ist alles, was ich gemacht habe, seit ich vor drei Jahren hergekommen bin, Null. Ich hatte Schule in Bremen und mit Freunden Spaß. Und heute? Wo sind die? Sicher könnte ich Kontakt halten, aber dann wird erzählt: Ich habe gestern mit Abass telefoniert ... und das geht dann so weiter, bis die Behörde erfährt, wo ich bin. Das ist zu gefährlich. Ich kann nicht nach Afrika abgeschoben werden, weil fast alles, was wir in Bremen gemacht haben, Demonstrationen, Zeitung, Fernsehen, heute in Togo dokumentiert ist. Unsere Botschaft hier in Deutschland arbeitet mit dem Präsidenten zusammen. Mein Foto hängt im Flughafen. Ich komme sofort, vielleicht für einen Monat, zwei Monate ins Gefängnis; tot. Das ist eine Diktatur.

Hast du von deinen Verwandten in Togo gehört?

Nein, von meinem Vater weiß ich nichts. Meine Mutter lebt seit vielen Jahren nicht mehr. Wichtig ist für mich mein kleiner Bruder Ibrahim. Von ihm weiß ich, daß er im Moment in Sicherheit ist und ich bitte Gott, daß es weiter gut geht. Er ist noch jung und er geht noch zur Schule: Ich hoffe, er wird nicht wie ich. Heute kann ich von mir sagen: Ich bin Null. Ich denke das. Das macht mich echt kaputt (weint). Auf der anderen Seite bin ich stolz auf mich, weil: Ich habe durch mein Leiden viel mehr geschafft als die Leute denken. Ich lebe jetzt ohne Sozialhilfe, ohne gar nichts.

Wer hilft dir?

Das Problem ist: Die Leute haben für meine Situation nicht mehr die richtigen Mittel. Deswegen verlieren sie den Mut. Im Moment wohne ich bei einem Freund. Er tut viel für mich. Wenn er kommt, gibt er mir Geld, manchmal 200 Mark, manchmal 300. Davon kaufe ich mir Essen für einen ganzen Monat. Und ein paar Freunde geben mir zehn oder zwanzig Mark und kaufen mir Zigaretten. Ich traue mich kaum noch raus.

Wie bist du denn zu unserem Treffen gekommen?

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich hatte ja keine Wahl.

Wie war das im Sommer '98, als du abgetaucht bist?

Ich bekam einen Brief von der Ausländerbehörde, auf dem stand mein Flugtermin. Ich war nicht zu Hause, sondern hier in x. Am Sonntag wollte ich zurück nach Bremen, aber ich verpaßte meinen Zug. Weil ich kein Geld für eine normale Fahrkarte hatte, sagte ich mir: Okay, du bleibst noch ein Woche. Dann hätte ich auf dem Wochenend-Ticket meines Freundes mitfahren können. Ich hatte ja noch ein Visum. Die hätten mich also höchstens anhalten können, weil ich Bremen nicht hätte verlassen dürfen. Am Mittwoch rief dann meine Freundin an und weinte. Die Polizei hatte, während sie arbeiten war, die Haustür aufgebrochen und neue Schlösser eingebaut. Auf einem Zettel stand, daß man mich gesucht hatte. Später rief sie mich wieder an und riet mir, lieber wegzubleiben. Sonst würden sie mich nach Togo abschieben. Seitdem war ich nicht mehr in Bremen.

Inzwischen hat deine Freundin die Heiratspapiere bekommen und ihr könntet heiraten.

Ja. Die togoische Botschaft hat neun Monate gebraucht, um die Papiere zu bearbeiten. Dabei hätten sie einfach nur einen Stempel draufmachen müssen. Normalerweise dauert das höchstens drei Monate. Aber inzwischen ist es kaputt zwischen Birthe und mir. Wegen der Scheißpapiere. Wir verstehen uns nicht mehr, sie ist auf dem einen Planeten und ich auf dem anderen. Sie hat einen Monat, zwei, drei, vier gewartet und glaubte dann nicht mehr dran. Jetzt sind die Papiere da und es ist vorbei. Bei Frauen ist das so.

Arbeitest du manchmal?

Alle paar Monate mal. Privat. Ein Haus renovieren für hundert oder zweihundert Mark. Im letzten Monat hat mir ein Mann für einen Umzug hundertfünfzig Mark gegeben. Das war nicht schlecht.

Wie soll es weitergehen?

Früher oder später versuche ich vielleicht, in ein anderes Land zu gehen. Vielleicht gibt es da ein neues Leben. Alles was ich gemacht habe, ist Scheiße.

Was hast du gemacht?

Ich bin nach Deutschland gekommen, habe die Sprache gelernt, bin zur Schule gegangen und habe Leute kennengelernt. Ich habe mein Leben gelebt und Spaß gehabt. Und heute? Wo ist mein Deutsch – mit wem soll ich sprechen, mit dieser deutschen Sprache? Sie nützt mir woanders nichts. Deutsch ist nicht Englisch. Aber ich bin seit vielen Jahren in Deutschland und habe fast die deutsche Mentalität. Um die abzulegen, braucht es Zeit.

Wärst du woanders hingegangen, wenn du vorher gewußt hättest, wie die Deutschen sind?

Als ich aus Togo wegging, bin ich einfach auf ein Schiff gekommen, ohne zu wissen, wohin das Schiff fährt. Als Ibo und ich in Deutschland ankamen, wußten wir nicht einmal, wie das Land heißt. Erst nach zwei, drei Tagen wußten wir wo wir waren. Als ich nach Deutschland kam, wußte ich nichts von Kriminalität. Bis heute steht nichts in meiner Akte. Aber ich habe gelernt: Es gibt Afrikaner, die Drogen verkaufen – wie Deutsche auch. Aber wenn die Deutschen über solche Leute reden, dann sagen sie: „Die Afrikaner“.

Als du noch in Bremen warst, gab es Politiker, die sich für dich einsetzen wollten. Grüne zum Beispiel. Jetzt gibt es sogar einen grünen Außenminister...

Ach, das ist nur Politik. Was haben die Leute alles über Kohl gesagt, daß er nicht gut ist und so. Jetzt ist Schröder an der Macht und nichts hat sich verändert.

Und wenn du zurück nach Togo gehen würdest?

Wenn es da nicht so schlimm wäre, würde ich das tun. Ich habe nicht gelitten in Togo, früher.

Ihr wart nicht arm?

Nein. Wir waren stolz auf das, was wir hatten. Wir waren nicht reich, aber wir lebten normal. Natürlich leide ich hier mehr als in Afrika. Ich habe nie in meinem Leben mehr gelitten als jetzt. Niemals. Ich kannte das Leben nicht, als ich in Afrika war. Ich habe das Leiden in Deutschland kennengelernt (weint). Es ist einfach Scheiße.

Was, wenn du krank wirst?

Gott sei dank bin ich bisher nicht krank. Schmerzmittel bekomme ich manchmal xs Mutter. Falls ich zum Arzt muß, bitte ich Gott, daß ich einen Weg finde. Vielleicht mit dem Krankenschein von einem Schwarzen. In Deutschland können die Menschen die Schwarzen nicht sehr gut voneinander unterscheiden (lacht). Entschuldigung, aber das ist so. Mehr Angst habe ich davor, psychisch krank zu werden. Manchmal schlafe ich einen ganzen Monat nicht, weil ich Angst habe. Meine Seele hat keine Freiheit.

Was wäre dein Traum?

Wenn ich legal wäre, würde ich meinen Schulabschluß machen und im Altersheim arbeiten. Leuten helfen, das ist gut. Vielleicht heiraten, eine Familie gründen. Nur nicht mehr rumsitzen.

Fragen: Fritz von Klinggräff