Bumsti bumsti!

■ Das Bremer Theater spielt Krieg: „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus unter Anleitung des Herrn Zeremonienmeisters Kresnik durch ein großes Ensemble dargeboten im U-Boot-Bunker „Valentin“ in Bremen-Farge

Bumsti. Das ist also das neue Kresnik-Spektakel, von dem das kleine Bremen und das große Feuilleton vorab so viel gesprochen, geschrieben und berichtet haben. Nach über zwei Stunden läßt es die Leute ziemlich ratlos auf dem Brettersteg zurück. Oder romantisch glotzend wie den Herrn Eichel von „aspekte“, unheimlich betroffen wie den Herrn Köhler von der „Konkret“ oder mit der Lust zum Händchen halten wie die Frau Löffler von der „Zeit“-Abteilung für Buchbesprechungen und kulturelle Ereignisse. Erst langsam regen sich die Hände der anderen Prominenten und Unbekannten aus aller Welt zum Beifallklatschen. Die Akteure verzichten darauf, sich feiern zu lassen. Krieg is halt Krieg. Bumsti.

Das Bremer Theater und das Bonner Ministerium für friedenserzwingende Maßnahmen machen es möglich. Zum ersten Mal in der ruhmlosen Geschichte des zwischen 1943 und 1945 von Zwangsarbeitern erbauten U-Boot-Bunkers „Valentin“ wird in dem 450 Meter langen, bis zu 100 Meter breiten und 25 Meter hohen Betonklotz in Bremen-Farge Theater gespielt. Kurz vorm Jahrtausendende wird ein Ruinenteil – man könnte ihn „Südschiff“ nennen – zur Raumbühne für Karl Kraus' zunächst für unspielbar erklärtes Stück „Die letzten Tage der Menschheit“. In über 200 Szenen hat der Presseschelter aus Österreich die während des Ersten Weltkrieges geführten Sprachschlachten ab-, mit- und aufgeschrieben und damit ein für alle Mal Zeugnis davon abgelegt, zu welchem Irrsinn angeblich vernunftbegabte Menschen im Krieg in der Lage sind. In seiner nach Jahren doch gerafften Bühnenfassung ließ er knapp 90 Szenen des Abgesangs auf Zivilisation und Fortschrittsglauben übrig. Jetzt, im Bunker „Valentin“, müssen für die als Prozessionstheater inszenierte Veranstaltung 39 zum Teil gekürzte Szenen genügen.

Am Anfang Andacht. Die ersten 350, mit Schiff und Bussen in den äußersten Bremer Norden angereisten ZuschauerInnen laufen die letzten Meter um das Bunkerende herum. Durch ein Loch in der meterdicken Betonwand, aus dem einst alle zwei Tage ein U-Boot Richtung Endsieg auslaufen sollte, fließt kalte und feuchte Luft. Aus einem anderen Loch über dem Eingang tönen (Uli Beckerhoffs) Trompetenklänge, Keyboard-Sounds sowie das Knarzen, Jauchzen und Wimmern einer E-Gitarre. Wer jetzt noch spricht, schweiget bald stille. Wer's noch nicht sah, steht gleich sprachlos in dieser Kathedrale des Nazi-Größenwahns, durch die zu Theaterzwecken eine wohl 300 Meter lange Lagerstraße aus Brettern führt.

Bumsti. Es geht eini und auch lossi. Serbien muß zwar wie noch bei Kraus nicht mehr sterbien. Doch das quadrophone Dröhnen von Düsenjägern und später von Hubschraubern erinnert auch den Weltabgewandtesten unter den ZuschauerInnen daran, daß (noch) Krieg is'. Trotzdem und für manche überraschend hämmert der Zeremonienmeister und Ex-Choreograph des Bremer Tanztheaters, Hans Kresnik, den Vergleich mit dem aktuellen Krieg in Jugoslawien einem nicht mit der Faust aufs Auge. Man kommt schon von allein drauf, welche von den letzten Tagen der Menschheit wieder angebrochen sind und welche nicht.

Das Theater, wenn man es so nennen kann, fängt langsam an. In einem Durchbruch ins nächste von drei „Schiffen“ sitzt ein Kind auf einer Schaukel. Weiter links liegt einer auf einer Kiste und qualmt. Dann huscht zum ersten und nicht zum letzten Mal das aus den drei Sparten Tanz, Schauspiel und MOKS kommende und um Gäste ergänzte Ensemble heran und spielt Krieg. Jetzt ist es die Gelehrtenszene, in der die Berliner Professorenschaft am Beispiel eines hungernden Gefangenen ihre Hirnwichse aussondert und die Lebensmittelrationierung zu einer gesundheitsfördernden Kollektivdiät umdeutet.

Es ist fast zu unglaublich, um wahr zu sein, was Kraus in Weltkrieg I an Zitaten zusammengetragen hat. Doch unsereins steht heute in der Weltkrieg-II-Ruine „Valentin“ und weiß ja längst, daß alles noch viel schlimmer gekommen ist. Im Gedenken an die Tausende von Zwangsarbeitern, die hier bauen mußten und dabei ums Leben kamen, hat Kresnik einige Statisten in grau-grau-gestreifte Uniformen kleiden lassen. Mal stehen sie wie vor der Exekution an der Wand, mal laufen sie als Gejagte über den nicht verschalten, durch Schächte und Löcher unterbrochenen Bunkerboden und werden „erschossen“. Es sind dies die gespenstischsten Bilder dieses Schauspiels, das eine Revue des Schreckens ist, aber einem nur selten einen Schrecken einjagen kann.

Mit Ausnahme der theatralen und der via Film gezeigten Bilder der „Valentin“-Gefangenen, dem Lärm moderner Flugzeuge und einer „Tom & Jerry“-Projektion ist auch Kraus drin, wo Kraus draufsteht. Szenen von der nationalistischen Hausfrau, die vom Krieg schwärmt, weil man kein Geld für Tand ausgibt, von Pfaffen, Frontberichterstattern und anderen Kriegsgewinnlern verketten sich zu einem Bildertheater, das akustisch überraschend gut verständlich ist, aber ästhetisch nicht oft über ein Déjà vu hinauskommt.

Der Mann, der sich mit Kuchen einschmiert und schon fast nackt über die Kriegsreporterin Schalek (Gabriele Möller-Lukacz) herfällt, hätte auch schon in „Macbeth“ über die Tanztheaterbühne toben können. Die herumballernden Besoffkis, die zwei halbnackten Frauen auf einem Panzer Kriegsberichte diktieren, hätten ihr Gelage schon in einer noch älteren Kresnik-Choreographie abhalten können. Vielleicht geben einem die vielen MitzuschauerInnen auf dem mehrfach hin und zurück führenden Holzweg zu oft und zu viel Schutz. Aber noch eher ist es so, daß Kresniks Schreckenserzeugungsversuche den von Gruppen wie „La Fura dels Baus“ und anderen erzeugten hinterherhinken. Er wird sie wohl nicht mehr einholen. Denn es steht mal fest, daß Coppolas „Apocalypse now“ auch schon 20 Jahre alt ist und sich, bis auf die Menschheit, alles weiterentwickelt.

Und dennoch ist diese Revue schlicht sehenswert. Und das liegt nicht nur an der jeweils fast zweistündigen An- und Abreise mit dem Schiff. Es ist hier durch Musik (von Serge Weber), Lärm und Licht zum ersten Mal der Bunker inszeniert, daß er nicht mehr zu vergessen ist. Und außerdem sind Kresnik auch großartige Theaterszenen eingefallen. Gabriela Maria Schmeide, die eben noch die Kommandeuse-Hausfrau spielte, schlüpft für die Rolle eines Majors in die Motorik einer Handpuppe. Das ist einfach sensationell. Und zum Schluß, nach einer von mehreren Prozessionen und Lastwagenanfahrten des nur bewundernden Ensembles, reitet Uwe Kramer nackt auf einem Schimmel heran und beteuert Unschuld. Der Junge auf dem weißen Pferd kommt also doch noch. Aber er lügt. Christoph Köster

Aufführungen: 5., 6., 9. bis 11., 20. bis 26. und 29. Juni sowie 2. bis 4., 10. bis 11. und 13. bis 14. Juli um 20 Uhr; Abfahrt Tiefer jeweils um 18 Uhr; für Selbstfahrer: Bustransfer ab Meyer-Farge jeweils um 19.15 Uhr; Karten unter 3653 333