Euphorie ist noch nicht zu spüren

■ Die Opposition ist aus ihrem Kriegsschlaf erwacht. Erstes Resumee: Für die Bürger Serbiens ist der Frieden ein Sieg. Für das Regime bedeutet er die totale Kapitulation

Es war am Donnerstag nach vielen Wochen die erste ruhige Nacht in Belgrad: das unheilbringende Aufheulen der Sirenen, die dumpfen Explosionen, das Dröhnen der Kampfjets über der jugoslawischen Hauptstadt fielen aus. Der Frieden war in der milden Sommernacht in der Luft zu spüren. Selbst der Fliegeralarm am Freitag vormittag konnte den Menschen das bestimmte Gefühl nicht mehr nehmen, daß der Krieg vorbei oder sein Ende zumindest greifbar nahe sein.

Trotzdem hat Belgrad keine Euphorie gepackt. Eine müde Erleichterung ist bei den Menschen zu spüren. „Ich bin so erledigt, daß ich im Moment überhaupt nicht weiß, was ich denken soll“, sagt der 40jährige Arzt Predrag Jovanovic. Natürlich würde er sich freuen, daß Explosionen seine zwei Kinder nicht mehr aus dem Schlaf reißen, daß seine Frau nicht mehr Beruhigungsmittel schlukken muß, daß er nicht bangen muß, mobilisiert und in den Kosovo transportiert zu werden. Doch die Freude ist gedämpft. Seine Frau sei arbeitslos, und sein Gehalt betrage lediglich 100 Mark im Monat.

Viele Fragen sind noch für die Menschen in Serbien offen geblieben: Was hat der jugoslawische Präsident, Slobodan Miloevic, nach einer 70 Tage langen Zerstörung des Landes eigentlich akzeptiert, wie soll das Land wieder aufgebaut werden, weshalb haben die ultranationalistischen Radikalen, angeführt von Vojislav Seselj, demonstrativ das serbische Parlament verlassen und einen Rücktritt aus der Regierung angekündigt? Die regimenahen Medien geben keine Antwort darauf.

Die regierenden Miloevic-Sozialisten verkündeten stur, der durch den EU-Beauftragten, Martti Ahtisaari, und dem russischen Sondergesandten, Wiktor Tschernomyrdin, vermittelte Friedensplan würde den „Frieden und die Einstellung der verbrecherischen Bombardements“ ermöglichen. Durch die „Einigkeit des Volkes und der politischen Führung“, heißt es, dank dem „heroischen Kampf der Armee und der Polizei“, hätte man die „Freiheit, die Würde und die Ehre gegen den übermächtigen Feind, die Nato, erfolgreich verteidigt.“ Die Souveränität und die territoriale Integrität des Landes seien bewahrt worden.

Die serbische Opposition erwacht jedoch aus dem Kriegsschlaf. Schon hört man Stimmen, die vorzeitige Wahlen auf allen Ebenen fordern. Die innenpolitischen Attacken auf das Regime sind sowohl seitens der bürgerlichen Opposition als auch seitens der Ultranationalisten und des Vizepräsidenten der serbischen Regierung, Vojislav Seselji, zu erwarten. Die Radikalen sind die einzeln stärkste Partei in Serbien, ihre Anhänger sind der Meinung, daß Miloevic einer Okkupation Serbiens zugestimmt habe.

„Für die Bürger Serbiens, nach allem, was uns geschehen ist, ist der Frieden ein Sieg. Für dieses Regime bedeutet er die totale Kapitulation“, erklärte Vladan Batic, Koordinator des bürgerlichen „Bundes für Veränderungen“, um den sich 20 oppositionelle Parteien versammeln. Selbst mit dem gewohnten „Medientrara“ würde es dem Regime diesmal nicht gelingen, diese Niederlage in einen Sieg zu verwandeln, denn das Volk hätte die Folgen seiner grotesken Politik auf der eigenen Haut verspürt. Es sei völlig klar, daß es sich um die letzten „Betrugsversuche“ handle.

Wenn die Angst der Menschen um das nackte Leben, der tägliche Kampf gegen den Außenfeind einmal vergessen sind, werden rasch die eigentlich innenpolitischen Probleme mit aller Härte ernüchternd auf die Tagesordnung kommen: Die gewaltige soziale Not in einem völlig zerstörten Land, die Forderung der Opposition nach einer Demokratisierung des Landes, der Kampf für die Liberalisierung der repressiven Mediengesetze, und der scheinbar unüberwindbare Zwiespalt zwischen Serbien und Montenegro, der das Bestehen der jugoslawischen Föderation in Frage stellt.

„Montenegro hat gefordert, eine Partnerschaft mit der internationalen Gemeinschaft aufzubauen, und nicht mit ihr Krieg zu führen“, erklärte Miodrag Vukovic, Berater des montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic. Der Frieden sei zu spät gekommen, und jemand würde zur Verantwortung gezogen werden müssen. Nach diesem Krieg sei Kosovo kein Bestandteil Serbiens mehr, Serben würden nicht mehr Kosovo verwalten, Serbien habe seine territoriale Integrität eingebüßt.

Das alles solle dem Volk erklärt werden. Die Bundesrepublik Jugoslawien würde faktisch nicht mehr existieren. Montenegro würde nie mehr mit dem herrschenden serbischen Regime etwas zu tun haben wollen, das das ganze Land beinahe in ein zweites Hiroshima verwandelt ähtte. Eine Förderation zwischen Serbien und Montenegro sei nur mit einem neuen, demokratischen Regime in Serbien möglich.

Andrej Ivanji, Belgrad