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Miese Aussichten

■ Paco de Lucia eröffnete konzertuntaugliches Veranstaltungszentrum in Delmenhorst

Gibt es einen Musiker, der mehr Machismo ausstrahlt als Paco de Lucia? Keiner wirkt so männlich wie er, wenn er die Gitarre mit rasenden Fingerwirbeln bearbeitet. Er erinnert eher an Toreros als an Saitenkünstler. Besonders originell ist dieser Vergleich nicht, aber er drängte sich beim Konzert am Freitag abend in der Delmenhorster Nordwolle förmlich auf. Denn hier wurden alle Erwartungen, die ein deutsches Publikum an spanische Musiker haben konnte, so erschöpfend bedient, daß dies schon wieder verdächtig wirkte.

Da war ein hochleidenschaftlicher Ajajaj-Sänger, ein Tänzer, der eher stampfte als steppte und dabei als Special-Effekt mit einer Drehung sehr eindrucksvoll den Schweiß aus der Mähne fliegen ließ. Und da war natürlich de Lucias Gitarrenspiel. Mit nur einem Tempo: rasend. Und mit nur einer Stimmung: aggressiv, triumphierend. Es wäre interessant zu erfahren, ob de Lucia auch in Spanien mit solch einem plakativen Konzept Erfolge feiert. Aber selbst als in iberischer Volkmusik nicht so bewanderter Norddeutscher merkt man, daß klangliche Finesse von den Künstlern nicht unbedingt angestrebt wurde.

Trotz des Aufgebots von sieben Musikern war der Gruppensound erstaunlich blaß. Der Maestro wirkte immer wie der strenge Papa der Gruppe, und so rasten seine drei Mitgitarristen auch meist brav auf den Saiten hinter ihm her, ohne daß dadurch der Sound viel farbiger wurde. Die Perkussionisten klatschten, trommelten und rasselten dazu möglichst energisch, und nur der Flötist und Saxophonist bekam für einige Soli Gelegenheit, einen jazzigen Kontrapunkt zu de Lucia zu setzen. Am Beispiel des mindestens genauso virtousen Gitarristen Egberto Gismonti aus Brasilien kann man hören, wie vielseitig und raffiniert solch eine Band (bei ihm ebenfalls mit anderen Gitarristen und einem Bläser) klingen kann. Und auch wenn de Lucia einen viel konservativeren Ansatz als Gismonti hat, hätte er sich doch ein wenig mehr mit der Kunst des Arrangements beschäftigen sollen. Und da auch die Kompositionen (alle von ihm) durchgängig ähnlich klangen, wurde es manchmal trotz aller Raserei ein wenig langweilig.

Aber wichtiger als die Musik war bei diesem Anlaß die Halle. Die Nordwolle in Delmenhorst ist eines der EXPO-Projekte. Schon in der Vergangenheit traten hier im Sommer Stars der internationalen Jazz- und Popszene auf. Bislang allerdings im Freien, was dazu führte, daß etwa Herbie Hanccocks Konzert im letzten Jahr recht feucht wurde. Nun ist der Umbau einer ehemaligen Lagerhalle für Wolle abgeschlossen, und die Konzerte können im nun der Öffentlichkeit übergebenen Medien- und Veranstaltungszentrum „com.media de/menhorst“ stattfinden.

Deren Bauherren und Betreiber waren aber scheinbar zu sehr mit dem schicken Design ihres Zentrums beschäftigt und es ist ihnen entgangen, daß diese Halle für Konzerte extrem ungünstig ist. Ein langer Schlauch ist's geworden. Der Raum erweitert sich von der Bühne aus nicht für breitere Stuhlreihen, so daß nur knapp 200 von 1000 möglichen ZuschauerInnen wirklich gut sehen können. Auf den billigeren Plätzen (die bei de Lucia immerhin noch zwischen 42 und 60 Mark kosteten) ist man schon so weit von der Bühne entfernt, daß man die Musiker nur noch als kleine schwarze Punkte erahnen kann. Zudem ist die Bühne so niedrig gebaut, daß man selbst nah an der Bühne eher die Köpfe und Rücken der vor einem Sitzenden als die Musiker zu sehen kriegt.

Eine gebeutelte Delmenhorsterin, die sich nach der Pause vorne an den Rand des Saals gestellt hatte, schlug als Notlösung vor, weiter hinten doch die Live-Bilder der Musiker auf Videowänden zu zeigen. Dafür wird das EXPO-Projekt hoffentlich auch noch Geld haben. Denn ohne solche Verbesserungen werden die in den nächsten Wochen folgenden Konzerte von Jocelyn B. Smith und Tuck & Patti in der Delmenhorster Nordwolle für die meisten ZuschauerInnen eine teure Zumutung. Wilfried Hippen

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