Die Skepsis überwiegt bei den Flüchtlingen

Die Kosovaren im Flüchtlingsheim in Hohenschönhausen wollen zurück. Aber Milosevic vertrauen sie nicht  ■   Von Julia Naumann

Nur einer in der kleinen Runde ist wirklich optimistisch. „Ich glaube, daß ich in einem Monat wieder in Pritina sein werde.“ Nersat Krasniqi sitzt im zum Wohnzimmer umfunktionierten Raum des Flüchtlingsheims in Hohenschönhausen und lächelt zuversichtlich. Er war vor dem Krieg sechs Monate lang Fahrer für die OSZE-Beobachter im Kosovo. Außerdem dolmetschte der 43jährige, denn er spricht fließend Russisch und Englisch.

Jetzt, nachdem der Frieden in greifbare Nähe gerückt ist, hofft er, ganz bald zurückgehen zu können. „Die internationalen KFOR-Schutztruppen werden mich brauchen“, ist er überzeugt. Nersat Krasniqi kennt die Hauptstadt des Kosovos in- und auswendig. „Und in drei, vier Monaten kann ich dann meine Familie nachholen.“

Sein neben ihm sitzender Cousin Ismet ist skeptischer. Der 48jährige glaubt nicht, daß die serbischen Truppen tatsächlich aus dem Kosovo abziehen. „Miloevic hat so viel versprochen. Im Bosnienkrieg hat er so oft gelogen“, läßt er übersetzen. „Er hat jetzt bestimmt wieder eine Falle gestellt.“ Freuen könne er sich erst, wenn das Kosovo „ohne Serben“ sei.

Ohne Serben, das heißt auch ohne die serbische Bevölkerung? Eine schwierige Frage, die die beiden Cousins nicht wirklich beantworten wollen. Nersat Krasniqi ist, so erzählt er, an der Grenze zu Makedonien von serbischen Soldaten vor den Augen seiner Familie verprügelt worden. Die Demütigung sitzt auch zwei Monate nach der überstürzten Flucht noch tief. „Wie soll ich mit solchen Menschen noch einmal zusammenwohnen?“ fragt er in die Runde, ohne Anwort zu bekommen.

Das Zusammenleben mit den Serben in Pritina vor dem Krieg nennt Ismet auf Nachfrage „normal“. Doch „normal“, bedeutete für die vier Krasniqi-Kinder, daß sie auf gesonderte Schulen gehen mußten und in den vergangenen zwei Jahren Angst hatten, die gleichen Cafés wie die serbischen Jugendlichen zu besuchen. Für Ismet bedeutete es, in der Verwaltung des Gas-Wasser-Werkes, in dem er arbeitete, den Serben einfach nicht mehr in die Augen zu schauen. „Wir haben schon sehr lange aneinander vorbei gelebt“, resümiert er.

Die Skepsis gegenüber dem Frieden überwiegt bei den meisten der knapp 100 Kosovo-Flüchtlinge in der Gehrenseestraße, hat Dolmetscher Halil Abaci in zahlreichen Gesprächen erfahren. Euphorie oder gar Freude hat Abaci, der seit sechs Jahren im Flüchtlingswohnheim in der Gehrenseestraße lebt und Asyl in Deutschland beantragt hat, nicht feststellen können. Auch nicht unter denjenigen, die keine Kontingentflüchtlinge sind, sondern teilweise vor fünf oder mehr Jahren aus dem Kosovo geflüchtet sind. „Für uns ist die alte und die neue Situation schwierig“, sagt Abaci. „Wir leben seit Jahren in Flüchtlingsheimen, durften nicht arbeiten und haben deshalb Sozialhilfe bekommen.“ Aabaci fühlt sich in Berlin und im Kosovo „entwurzelt“.

Und auch wenn es tatsächlich schnell zu einer Befriedung käme, so ist eine Rückkehr doch völlig ungewiß. „Schau mal“, sagt die 28jährige Nerxhirane Daka und zeigt auf ein zerstörtes Haus ohne Dach, das in einer Zeitung abgebildet ist. „Dahin sollen wir jetzt zurück?“ Und sie lacht ziemlich schrill: „Im Kosovo gibt es nur noch Cabriolet-Häuser.“ Sie vertraut, wie die anderen Anwesenden auch, auf die KFOR-Truppe. Nur die 10.000 Russen, die dabeisein sollen, will Nerxhirane Daka nicht. „Russen sind wie Serben“, sagt sie und schnalzt etwas verdächtig mit der Zunge.

Natürlich wollen sie alle zurück, das sagen auch die Krasniqis immer wieder. Doch: „Wir müssen ja von irgend etwas leben.“ Ismet Krasniqi kann sich einigermaßen glücklich schätzen. Bis vor zwei Wochen hat er regelmäßig mit seinen Eltern in Pritina telefoniert. Die hatten Anfang April die Stadt nicht verlassen, weil sie zu gebrechlich waren. Seine Mutter habe beobachtet, wie Ismets Haus in Pritina zwar nach der Flucht Stück für Stück ausgeräumt, aber nicht zerstört worden sei. Doch seit zwei Wochen nimmt in Pritina niemand mehr den Hörer ab. „Ich weiß nicht, wo meine Eltern jetzt sind“, sagt er.

Dann ist es wieder Zeit, das kleine Radio einzuschalten und Deutsche Welle zu hören. Die Krasniqis und die Dakas hören wie jeden Tag drei- bis viermal die Nachrichten auf albanisch. Als der Sprecher verliest, daß in der Nacht zu Samstag Prizren und Pritina erneut bombardiert worden sind, schießen der 15jährigen Florentina Tränen in die Augen. „Ich muß immer weinen, wenn ich Nachrichten höre“, sagt sie. Egal, ob es dabei um Frieden oder Krieg geht.