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Albert HefeleHerr Hefele kriegt zwei Minuten

■ Weiche Schale, weicher Keks – oder die glorreiche Rückkehr der alten Dame

Ein interessantes Wochenende, das da sportlicherseits hinter uns liegt – alles was recht ist. Mal eine Überschrift versuchen? Die Rückkehr der alten Dame? Oder: Die Königin von Paris heißt Graf? Oder: Prügel für den Sieger – weiche Schale, weicher Keks, Torsten May probiert's noch mal...

Aber, der Reihe nach: Wer konnte sich vollkommen der Rührung erwehren, als die – für Tennisspielerbegriffe – uralte Gräfin Stefanie die Massen in Roland Garros zur Welle dirigierte? Noch ein Grand-Slam-Titel für die beste falsch gespielte Vorhand der Welt. Sie haben das nicht verstanden? Ich sagte: Stefanie Graf spielt die Vorhand falsch. Ihre bewunderte, gefürchtete, gelobte Vorhand. Grottenfalsch. Immer schon. Zu nah am Körper, wie ein Tischtennisspieler im Prinzip. Was glauben Sie, warum 's die gute Frau so im Kreuz hat? Weil sie bei jeder Vorhand die Fehlhaltung ihres Oberarmes durch eine Ausweichbewegung des Rumpfes kompensiert. Nein, ich möchte weder Herrn Günthardt noch einen der Bundestrainer beraten.

Wo waren wir? Genau: Rührung und Frau Graf, die Welle dirigierend. Scheu und steif wie eh und je, und doch strahlt sie etwas Neues aus. Eine schwärmerische Begeisterung für ihren Sport – und: Melancholie. Weil sie weiß, das war einer der letzten großen Momente am Ende eines großen Turniers. Und sie ist dabei zu verstehen, was die Zeit auf den Courts für sie war, und darum genießt sie solche Erfolge wie nie in ihrem Leben. Der Kopf ist freier denn je, und so gewinnt man auch im reifen Alter noch Turniere im Tennis.

Kaum ein Sport, der in solchem Maße über den Kopf entschieden wird. Schönes Beispiel: die junge Hingis. Perfekter kann man sich ein Match gar nicht versauen. Die Strafe für professionelles, kindisches Getue folgte auf dem Fuß. Die kleine Hingis muß noch viel lernen. Unter anderem, daß ständiges Blecken der Zähne nicht zwangsweise zum Erfolg führt. Manchmal muß man sie auch zusammenbeißen können.

Übrigens in jeder Sportart eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit. Auch und gerade in der Disziplin, die mit den dikken Handschuhen ausgetragen wird. Wo Männer noch richtige Männer sind. Oder auch nicht. Torsten May, immerhin schon Olympiasieger und Weltmeister bei den Amateuren, säte in dieser Hinsicht Zweifel. Zumindest unter der die Profiringe umlagernden Ludenschar. Torsten May gab nämlich einen Kampf gegen einen nicht unmäßig gefährlichen Schweizer einfach deshalb auf, weil er während der Keilerei ins Grübeln kam. Er dachte an seinen Sohn, und er dachte an ein Blutgerinnsel, das in seinem Schädel festgestellt worden war, nach seinem Kampf im Jahr zuvor gegen den Amerikaner Adolpho Washington. Und er ließ die Fäuste hängen und ging nach Hause. Für unsereins in den karierten Hausschuhen eine mehr als nachvollziehbare Handlung, für die Luden und May, der nichts anderes gelernt hat, als andere Leute an den Kopf zu hauen, eine Katastrophe.

Was blieb übrig, als wieder zu boxen? Am Wochenende in der Frankfurter Ballsporthalle war sein Gegner ausgerechnet Adolpho Washington. Die Herren mit den Goldkettchen sparten nicht mit guten Ratschlägen, wie er den bulligen schwarzen Amerikaner bezwingen könne: „Das Braune, Runde ist der Kopf!“ Jedem, der eine Kleinigkeit sensibler war, hat es wohl den Magen umgedreht, angesichts des völlig ratlos wirkenden, vor Nervosität fast teigigen Torsten May.

Es ging trotzdem irgendwie. Weder elegant noch überzeugend. Alle zusammen haben es so gerade noch hingebogen. Abbruchsieg für Torsten May in der neunten Runde, weil er kampfunfähig war. Wie das geht? Ein Kopfstoß des Amerikaners in der zweiten Runde war laut Ringrichter Mancini Ursache der Augenbrauenverletzung Mays gewesen. Heftiges Nicken von Herrn Sauerland und Hauptsponsor RTL. May ließ sich einen großen Siegeskranz um den Hals hängen und sah weiterhin ratlos drein. Es wird aus dem Grübeln nicht so rasch herauskommen.

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