„Eine große Chance ist vertan worden“

■ Barbara Steffens, Vorstandssprecherin der NRW-Grünen, zum Dortmunder „Netzwerk“-Treffen

taz: A m Sonntag haben sich etwa 750 Grüne und der Partei nahestehende Kriegsgegner in Dortmund versammelt, um ein linkes Aktionsbündnis zu gründen. Mit 188 zu 166 Stimmen entschied sich die Veranstaltung dafür, die Grünen und andere „Kriegsparteien“ bei der Europawahl zu boykottieren. Wie kam es dazu?

Barbara Steffens: Es bestand vor vornherein ein Interessenskonflikt. Da waren zum einen Leute wie ich, also grüne Kriegsgegner, die trotz Kritik weiterhin in der Partei sind. Wir haben uns ein Forum für linke, kritische Diskussionen und Kampagnen versprochen. Das wäre dringend notwendig, wenn man sich die Grünen in Bonn ansieht. Dort schreit bei jedem kritischen Vorschlag sofort die Wirtschaftslobby auf, und danach halten alle ihren Mund. Seit die Bündnisgrünen nicht mehr Opposition sind, besteht zweifellos ein Diskussionsvakuum auf der linken Seite.

Was wollten diejenigen, die entweder aus Protest aus den Grünen ausgetreten sind oder nur mit ihnen sympathisieren?

Bei vielen hat man die Hilflosigkeit und die Wut gespürt, nach den Beschlüssen von Bielefeld in Sachen Kosovo unterlegen gewesen zu sein. Die wollten in Dortmund eigentlich nur ihren Frust an der Partei abarbeiten. Aber sie haben zum Wahlboykott aufgerufen – und das boykottiert auch die grüne Parteiarbeit. Das ist für mich und alle, die sich in der Partei engagieren, natürlich nicht tragbar.

Haben Sie dieses Abstimmungsergebnis erwartet?

Wenn ich das erwartet hätte, hätte ich am Sonntag meinen Garten umgegraben. Ich denke, daß eine große Chance vertan worden ist, wieder ein öffentliches Sprachrohr für Links in Deutschland zu etablieren.

Kriegsgegner wie Christian Ströbele und Annelie Buntenbach unterstützen das Aktionsbündnis nicht weiter. Wie hoch schätzen Sie dessen Überlebenschancen ein?

Nicht sehr hoch. Wenn man faktisch schon mal die ganzen Grünen ausgegrenzt hat, ist die Plattform, von der aus man agieren kann, denkbar klein.

Viele der Ausgetretenen bemängeln eine „FDPisierung“ der Grünen, seit sie an der Regierung sind. In Bremen hat die Partei ein Drittel der Stimmen eingebüßt. Laufen die Grünen Gefahr, Profil und Wähler zu verlieren?

Ich sehe in der Bremer Wahl keinen Indikator für einen freien Fall der Grünen. Aber natürlich ist es keine Frage, daß sich die Partei in Richtung Mitte verändert. Aber dies ist nicht allein ein Problem der Grünen, das ist ein Phänomen in allen Parteien. Und wenn ich mit einem Mal Feministinnen höre, die plötzlich im Kosovo für Bodentruppen eintreten, dann bin ich – gelinde gesagt – verblüfft, wie schnell sich dieser generelle Rechtsruck in Deutschland vollzogen hat. Gerade darum wäre es hervorragend gewesen, ein breites, linkes Bündnis zu gründen. Jetzt besteht weiterhin eine Lücke. Interview: Gisa Funck