Vom Profitum rät Coach Ali ab

Bei den ersten Europameisterschaften der Amateurboxerinnen, die in dieser Woche in Schweden stattfinden, gehen drei Kölnerinnen für die Türkei an den Start  ■   Von Manfred Christoph

Köln (taz) – „Das Leben ist wie ein Boxring.“ Manchmal bekomme man was auf die Nase, aber das Wichtigste sei, daß man immer wieder aufstehe. Mit dieser metaphorischen Philosophie des Boxens schafft es Ali Cakir Jahr für Jahr, Teilnehmer einer Jugendfreizeit zu erfolgreichen Faustkämpfern auszubilden. Cakir (52) ist Boxtrainer und Sozialarbeiter in Personalunion im Quäker-Nachbarschaftsheim in Köln-Ehrenfeld. Aufgrund seiner eigenen Erfahrung als Bundesligaboxer für Saarbrücken und Fraulautern genießt er höchsten Respekt unter den Jugendlichen, eine der Grundlagen seines Erfolges. „Seit 20 Jahren arbeite ich hier. In diesen 20 Jahren haben wir jedes Jahr Meister hervorgebracht.“

So auch in diesem Jahr. Jeweils zwei westdeutsche Junioren- und Seniorenmeister formte Cakir aus bescheiden anmutendem Potential. Viele der Jugendlichen unterschiedlichen Alters und verschiedener Nationalität verfügen gerade mal über ein Paar abgewetzte Boxhandschuhe und nehmen weite Anfahrtswege auf sich, wenn sie zweimal pro Woche zum Training in den winzigen Boxkeller kommen. Doch gerade die räumliche Enge ist für Cakir ein wichtiger Faktor: „Unser Grundstein zum Erfolg bei Männern und bei Frauen: Wir sind hier eine Familie, und in der Familie unterstützt jeder den anderen.“

Bei den Frauen liegt Cakirs Erfolgsquote noch höher als bei den Männern. Das im Mai bei den türkischen Meisterschaften angetretene Quartett – bestehend aus Hülya Sahin (25), Fikriye Selen (23), Gülay Kilic und Cigdem Lenbet (beide 18) – kehrte mit drei Goldmedaillen aus Izmir zurück. Dies bedeutete für die jungen Sportlerinnen nicht nur, daß „sie am Muttertag die Medaillen den Müttern widmeten“ (Selen), sondern vor allem: die Qualifikation zu den ersten offiziellen Europameisterschaften für Amateure, welche diese Woche in Stockholm stattfinden. Der Kölner Ali Cakir wurde vom türkischen Box-Verband mit dem Coaching des achtköpfigen EM-Kaders betraut.

Internationales Terrain ist für Cakir längst kein Neuland mehr. Bei Olympischen Spielen war er türkischer Nationaltrainer des Männer-Teams. Vor vier Jahren, nach der Europameisterschaft in Dänemark, lehnte er einen Zehnjahresvertrag als Verbandstrainer der Türkei ab.

Die größten Titelchancen bei den Europameisterschaften räumt Cakir seiner leichtesten Athletin Hülya Sahin (49 Kilogramm) ein: „Hülya ist näher dran als Fikriye und Gülay. Sie hat viele Erfahrungen vom Kick-Boxen, und alle Boxerinnen kommen vom Kick-Boxen.“ Für die zweifache Weltmeisterin im Kick-Boxen ist der Druck der Favoritenrolle „kein Problem“. Für die Zeit nach der EM hat Hülya Sahin den Wunsch: „Einmal als Profi gegen die Halmich boxen.“ Ali Cakir rät seinen Boxerinnen vom Profigeschäft, in dem die Karlsruher Weltmeisterin Regina Halmich reüssiert, allerdings eher ab.

Schwergewichtlerin Gülay Kilic (69 Kilogramm) genügte in der Türkei ein einziger Kampf zum Titel. Der Reiz der EM besteht für sie darin, daß sie sich in den drei Runden à zwei Minuten von Kampf zu Kampf steigern kann. Als härteste Konkurrentinnen gelten für Gülay die Ukrainerinnen, die „zahlreich kommen und stark sein werden.“

Daß Hülya Sahin, Fikriye Selen und Gülay Kilic sportlichen Erfolg in der Türkei fanden und mittlerweile feste Größen des türkischen Nationalteams sind, hängt mit der Situation im Deutschen Amateur-Box-Verband (DABV) zusammen. Zwar sind Frauen im Ring seit 1995 zugelassen, aber die zugehörigen nationalen Meisterschaften gibt es mangels Athletinnen noch nicht. Ein Versuch wurde gestartet, doch es kamen nicht die erforderlichen vier Frauen pro Gewichtsklasse zusammen. „Der Amateursport Boxen bei Frauen bietet hier nicht mehr – im Moment“, sagt Fikriye Selen. „Mohammedanische Frauen sind fortschrittlicher als die deutschen“, kommentiert Ali Cakir augenzwinkernd.

Beim zehntägigen Vorbereitungslehrgang in Izmir stand für die Kölner Delegation dreimal täglich Training, abends dann Theorie und Videoanalyse auf dem Programm. Fikriye Selen mußte indes dem Spagat zwischen Amateursport und BWL-Studium Tribut zollen und wegen des angestrebten Vordiploms an der Kölner Uni auf das Trainingslager verzichten. Sie reiste direkt nach Stockholm.

Für Ali Cakir bedeutet die EM zum einen ein Aufräumen mit gängigen Vorurteilen, zum anderen sieht er Stockholm für das Frauenboxen als wichtige Durchgangsstation. „Frauen sollen zu Hause bleiben, höre ich immer von den männliche Kollegen. (deutschen oder „mohammedanischen“? d.sin) Aber irgendwann wird Frauenboxen olympische Sportart – und so soll es auch sein.“