Der Nato war politische Lösung ziemlich egal

Friedensforschungsinstitute werfen Nato vor, daß sie nur ihre neue Strategie ausprobieren wollte. Mit katastrophalen Folgen  ■   Aus Berlin Volker Weidermann

Für die drei renommiertesten deutschen Friedensforschungsinstitute ist der Nato-Einsatz im Kosovo ein totaler Fehlschlag. „Heute haben wir wirklich die humanitäre Katastrophe, die die Nato eigentlich verhindern wollte“, sagte Reinhard Mutz vom Hamburger Friedensforschungsinstitut bei der gestrigen Vorstellung des alljährlichen Friedensgutachtens.

Die Wissenschaftler waren sich einig, daß im vergangenen Jahr zahlreiche Chancen zu einer politischen Lösung des Konfliktes vertan wurden. Den Grund dazu sahen sie darin, daß man von vorneherein nahezu ausschließlich auf die Nato als Schlichter gesetzt habe. „Das ist eben der Preis dafür, daß man ein Militärbündnis mit einer solchen Aufgabe betraut“, sagte Mutz.

Die Nato, so wurde vermutet, sei nie wirklich an einer politischen Lösung des Konflikts interessiert gewesen, sondern es sei ihr in erster Linie um eine erste „Exekution ihrer neuen Strategie“ – weg vom reinen Verteidigungs-, hin zu einem Interventionsbündnis mit erweitertem Aufgabengebiet – gegangen. „Einiges spricht dafür, daß die Nato einfach mal zeigt, wie sie sich das vorstellt, das neue Konzept“, mutmaßte Mutz.

In dreierlei Hinsicht empfinden die Vertreter der Forschungsinstitute die Ergebnisse dieses Krieges als fatal: Erstens wurde durch den Bruch des Völkerrechts dieses nachhaltig beschädigt, zweitens habe man Rußland als Gestaltungsfaktor langfristig aus der europäischen Politik ausgeschlossen und drittens seien die „ethnischen Säuberungen“ nach dem 24. März „auf ein unerträgliches Maß gesteigert worden“.

Als politisch schwersten Schaden betrachten die Friedensforscher den Bruch des Völkerrechts und den legeren Umgang der Nato mit den Regeln, die sich das Bündnis selbst gegeben hat. Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung sieht das Rechtsbewußtsein durch den Nato-Krieg langfristig beschädigt und fordert für die Zukunft: „Es darf da auch aus moralischen Gründen keine Ausnahme geben.“

Die Institute fordern deshalb eine Stärkung nichtmilitärischer Organisationen wie der OSZE und eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Denn seit Beginn der miltärischen Konflikte auf dem Balkan 1991 „steht Europa wie ein Depp da“, so Reinhard Mutz. Es sei endlich an der Zeit, daß die EU politisch so einigungsfähig werde, daß sie auf europäische Katastrophenkonstellationen einheitlich und möglichst nicht militärisch reagieren kann.

Positive Signale sehen die Forscher in ihrem Jahresgutachten beim deutschen Außenministerium, das in dem zerfahrenen Konfliktlösungsprozeß im Kosovo, bei dem von allen Seiten auf rein militärische Mittel gesetzt wurde, entschlossen die Diplomatie zurück ins Spiel brachte und mit dem „Fischer-Plan“ erstmals einen realistischen nichtmilitärischen Ausweg aus der Krise aufzeigte.

„Die deutsche Außenpolitik“, so Bruno Schoch, „unternahm alles Erdenkliche, um zwei Akteure wieder ins politische Spiel zu bringen, die die Nato an den Rand gedrängt hatte: Rußland, ohne das es in Europa keine Sicherheit gibt, und die UNO, die allein über Krieg und Frieden zu befinden hat. Beides weist über diesen Krieg hinaus.“