Ein Händchen für die Jugend

Kolumbiens Nationalsport Fußball ist nach der WM-Pleite auf dem Wege der Genesung. Statt auf Narcodolares setzen die Veranwortlichen auf Nachwuchsarbeit    ■ Aus Bogotá Knut Henkel

Gerade 3.000 Zuschauer verlieren sich im weiten Rund des Stadions „El Campin“ im Herzen von Bogotá. Independiente Santa Fé, Traditionsclub aus der kolumbianischen Hauptstadt, ist bei den Fans in Ungnade gefallen. Guten Fußball hat man von der Mannschaft schon lange nicht mehr gesehen, und warum sollte dies gegen den Medelliner Vorortclub Envigado F.C. anders sein, fragen sich viele Fans und bleiben bei naßkaltem Wetter lieber zu Hause. Dabei setzt Santa Fé nach Jahren des Mißmanagements wie kaum ein anderer Verein in der höchsten kolumbianischen Spielklasse auf Erneuerung. Die Mannschaft wurde zu Beginn der Saison radikal umgekrempelt, knapp 90 Prozent der Kicker wurden ausgetauscht und durch billige Nachwuchsspieler ersetzt – ein Vorgehen, das Schule machen könnte bei den teilweise hochverschuldeten Vereinen Kolumbiens.

Hugo Prieto, seit eineinhalb Jahren Präsident von Santa Fé, ist verantwortlich für den frischen Wind: „Derzeit haben wir Verbindlichkeiten in Höhe von etwa sechs Millionen US-Dollar, die wir langsam abtragen wollen, um dann wieder an glorreiche Zeiten anknüpfen zu können“, hofft er. Funktionieren soll das über den Transfer von Eigengewächsen des Vereins. Spieler wie Pepe Portocarrero, der 22jährige Libero, der sich zu einer festen Größe im Konzept des neuen kolumbianischen Nationaltrainers Javier Alvárez gemausert hat, oder Yefrey Diaz, der zur U-21-Auswahl gehört, sollen über kurz oder lang Geld in die leeren Kassen bringen. Talentförderung heißt das Zauberwort nicht nur bei Santa Fé, sondern auch bei anderen Vereinen der kolumbianischen Liga. 600 Millionen Peso (rund 750.000 DM) lassen sich Copa-Libertadores-Finalist Deportivo Cali oder Stadtnachbar América de Cali die Nachwuchsarbeit kosten. Auf etwa ein Drittel kommt Santa Fé.

Einer, der sich über den Aufschwung in der Talentförderung besonders freut, ist Javier Alvárez. Der 38jährige Nationalcoach, der den glücklosen Hernan Dario Gomez nach der WM-Pleite ablöste, setzt auf die Jugend. Neider Morantes, Pepe Portocarrero oder der erst 16jährige Johnnier Montaño gehören zu seinem derzeitigen Kader. Montaño gilt als größtes Talent des kolumbianischen Fußballs, steht bei Borussia Dortmund auf dem Einkaufszettel und wurde als jüngster Spieler aller Zeiten in die Equipe berufen. Eine Entscheidung, die Alvárez damit rechtfertigt, daß die jungen Spieler möglichst schnell internationale Atmosphäre schnuppern sollen. Dabei kann sich Alvárez auf die Rückendeckung von Alvaro Fina verlassen. Der 53jährige Präsident des kolumbianischen Fußballverbandes setzt auf Professionalität statt auf zwielichtige Finanzquellen: „Heute hat der kolumbianische Fußball recht klare Strukturen. Die Vereine kalkulieren mit realen Budgets, und die Zeit des leichten Geldes, der Drogendollars, mit denen viele Vereine in den achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre internationale Stars finanzierten, ist vorbei“, meint er.

Das bestätigt auch der kolumbianische Sportjournalist Rodolfo Bello Lemus. Ähnlich wie Fina will auch er nicht ausschließen, daß es weiterhin schwarze Schafe gibt, die Drogengelder annehmen, „aber die Situation läßt sich nicht mehr mit den achtziger Jahren vergleichen“. Damals waren die bekanntesten Spieler des Kontinents in Kolumbien unter Vertrag und erhielten ihr Geld mehr oder minder direkt von den Kokainkartellen. Heute hingegen pfeifen einige der Clubs finanziell aus dem letzten Loch und sind gezwungen, auf billige Spieler zu setzen – eine Entscheidung, die vom Verband nach Kräften unterstützt wird.

Nach der peinlichen Vorstellung der Nationalmannschaft bei der WM in Frankreich will man den Neuanfang. Mit Javier Alvárez hat man einen „Trainer mit einem Händchen für die Jugend“ berufen, konstatiert Pepe Portocarrero, einer der neuen Hoffnungsträger im Nationaltrikot. Alvárez plant für die WM 2002, und seine erste Bewährungsprobe wird die Copa América sein, die Südamerikameisterschaft, die Ende Juni in Paraguay angepfiffen wird. Bis dahin muß er seine junge Mannschaft jedoch auf einigen Positionen mit erfahrenen Spielern verstärken, damit sie auch gegen die Großen, wie Argentinien oder Brasilien, bestehen kann.

Doch mit der Berufung der im Ausland spielenden kolumbianischen Kicker kann die Eintracht im Team schnell vorbei sein. Für Carlos Valderrama, den erfolgreichsten kolumbianischen Nationalspieler, ist die fehlende Einheit der zentrale Grund für die Erfolglosigkeit der Nationalmannschaft im internationalen Geschäft. Spieler wie Faustino Asprilla vom AC Parma oder Adolfo „El Tren“ Valencia von Paok Saloniki sind an einem guten Tag Gold wert für die Equipe, sorgen allerdings mit ihren Eskapaden für viel Unruhe. Erst Ende Mai produzierte Asprilla neuerlich Schlagzeilen abseits des Fußballplatzes. In der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena schoß er im volltrunkenen Zustand neunmal in den Nachthimmel. Daß Javier Alvárez dem Stürmer seine Eskapaden austreiben kann, ist zu bezweifeln.

Bei den jungen Spielern sind derartige Entgleisungen hingegen nicht zu befürchten, ist Alvaro Fina sicher. „Die jetzige Spielergeneration ist wesentlich besser ausgebildet, professioneller und wird nicht die Anpassungsprobleme im Ausland haben, für die kolumbianische Spieler wie Valencia oder Asprilla bekannt sind“, prognostiziert er. Dies ist das Verdienst von Trainern wie Alvárez oder Juan José Peleis, dem Trainer von Santa Fé. Der 40jährige hat Santa Fé aus den Tabellenniederungen auf den siebten Platz geführt, und unter seiner Regie haben Talente wie Torhüter Agustin Julio oder Stürmer Milton Rodriguez Anschluß an die Nationalmannschaft gefunden.

Insgesamt ist seine junge Truppe jedoch noch zu unbeständig, um an die führenden Mannschaften von América de Cali und Atlético Junior aus Barranquilla heranzukommen. Das beklagen auch die 3.000 Zuschauer beim Spiel gegen Envigado. Durch einen Abwehrfehler verliert Santa Fé mit 0:1. Für Peleis eine unnötige Niederlage, aber „man muß der Mannschaft, die ein Durchschnittsalter von 22 Jahren hat, Zeit geben“, bittet er die Fans. Ein Appell, der auch von Nationalcoach Javier Alvárez stammen könnte.